Letztes Rennen der Sommersaison.
Freitag, 23. September 2011
Nils konnte man die Anspannung schon anmerken.
Kein Wunder, denn in wenigen Minuten würde er zu seinem ersten Rennen starten.
Dennis und ich begleiteten ihn auf den Sportplatz und flaxten ein wenig herum.
Mit letzten Ratschlägen und guten Wünschen verabschiedeten wir uns von ihm und postierten uns vor dem Starterfeld in Kameraposition.
Für mich ein Anblick mit Seltenheitswert: Normal stehe ich im Block und nicht davor.
Der Startschuss ertönte und der 5km-Lauf war eröffnet.
Unablässig drängelte sich der Strom von Leibern an uns vorbei, bis endlich Nils in Sicht kam und fröhlich an uns vorbei trabte.
Er hatte sich selbst eine Zielzeit von ca 25 Minuten auferlegt.
Ziemlich ambitioniert, unser „Gesundheitsläufer“!
Immerhin wäre das ein Schnitt von 12km/h – für einen Laufbeginner kein Pappenstiel.
Nach dem Start gesellten wir uns wieder zu André in die Sporthalle und alberten herum.
André war leider noch für ein paar Tage wegen eines Muskelfaser-Risses in der Wade außer Gefecht gesetzt, sodass ich nachher allein beim Hauptlauf für die Miep!Miep!s an den Start gehen würde.
Aber nun galt es erstmal Nils‘ Zieleinlauf abzuwarten!
Nach knapp 15 Minuten postierten wir uns wieder auf dem Sportplatz und feuerten die Erstplatzierten an.
Schließlich kam Nils zusammen mit einem anderen Läufer in Sicht.
Seite an Seite, betrat er die Zielgerade und legte sogar noch einen Endspurt hin.
Offizielle (Brutto-)Zeit: 25:03 Minuten. Inoffizielle Nettozeit: 24:46min.
André und ich schauten uns an:
Da hat er es doch tatsächlich geschafft!
Nachdem Nils die gebührende Ehre zuteil geworden war, begann ich mich langsam aber sicher für meinen Lauf vorzubereiten.
Die Uhr hatte ich schon vor 30 Minuten in der Halle angezogen und eingeschaltet. Die GPS-Frage, ob ich mich in einem geschlossenen Raum aufhalten würde gedankenverloren und wahrheitsgetreu mit „Ja“ quittiert.
Ein Fehler…
Sabine und Amy trafen ein und begleiteten mich zusammen mit André und Dennis zum Warmlaufen. Nils stand derweil noch unter der Dusche.
Auf dem Ascheplatz neben dem Startbereich liefen sich bereits an die Hundert Läufer warm. Die Meisten bogen jedoch am hinteren Teil abrupt ab in Richtung Unterholz und hielten ein kurzes Schwätzchen am „Läufertreff nasse Eiche“.
Die Warteschlangen vor dem Toilettenhäuschen taten sich nur sehr wenige freiwillig an.
Warmgelaufen und umgezogen wechselte ich auf den Hauptplatz und reihte mich irgendwo unter die ersten Hundert in den Startblock ein
Dennis und André eilten mit der Kamera herbei und interviewten meinen, uns völlig unbekannten, „Hintermann“, der das Spielchen jedoch gerne mitmachte.
Wir schüttelten uns die Hände und kurz darauf ertönte auch schon der Startschuss.
Routiniert drückte ich beim Überqueren der Zeitnahme-Vorrichtung den Start-Button meiner Uhr.
Die grobe Streckenführung war mir ja aus dem letzten Jahr noch ganz gut in Erinnerung geblieben und so wusste ich um die recht schwierigen Streckenverhältnisse, gerade auf den ersten Metern.
Denn die führten uns aus dem relativ hell erleuchteten Stadion heraus über den kleinen Parkplatz und dann um eine 90°-Linkskurve direkt auf einen schmalen, nahezu unbeleuchteten Feldweg.
Mit Überholmanövern hielt ich mich deshalb auch tunlichst zurück, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
Als dies geschehen war, glitt mein Blick auf Uhren-Display:
Geschwindigkeits-Kontrolle!
Wenigstens einmal wollte ich in diesem Jahr versuchen mich nicht schon auf den ersten drei Kilometern in eine Laktat-Flut zu rennen.
Die Uhr zeige genau nichts.
Lediglich die Rennzeit tickte munter vor sich hin.
Zurückgelegte Distanz, Aktuelle Geschwindigkeit und Durchschnittszeit der letzten 1000m wurden jedoch nicht berechnet.
Da fiel es mir ein: Ich hatte die Uhr ja bereits in der Halle gestartet und die Frage „Befinden Sie sich in einem geschlossenen Raum?“ mit „Ja“ quittiert.
Jetzt denkt dieses Miststück, dass ich mich in einem Fitness-Studio oder dergleichen aufhalte und misst allenfalls Zeit und Puls, aber nicht mehr GPS, also Strecke und Geschwindigkeiten…
Na. Ganz. Toll.
Die Uhr schnell rebooten würde nicht viel bringen, denn ich bewege mich stetig und nicht gerade langsam, es würde wahrscheinlich zig Minuten dauern, bis das GPS-Signal stabil genug ist.
Also was tun?
Naja, die Kilometermarken sind an der Strecke per Schild ausgewiesen und meine Rennzeit zeigt die Uhr ja immerhin an.
Da werde ich wohl meinem Körpergefühl und Mathekünsten vertrauen müssen.
Um mich herum befanden sich jedoch noch immer viele, viele Läufer die ich in wildem Zick-Zack umgehen und überholen musste. Das ist nicht gerade förderlich, um nach Gefühl einen bestimmten Geschwindigkeits-Schnitt zu halten.
Etwas weiter vorne schlängelte sich ein weiterer Läufer willd durchs Getümmel und ich beschloss mich ihm anzuschließen.
So erreichten wir Kilometer 1 nach genau 4:00 Minuten.
Um mich herum piepste es an allen Handgelenken, nur meines blieb stumm.
Schnurgerade verlief der Weg, mein Vordermann und ich überholten Läufer um Läufer und ich fühlte mich, trotz gerade erst abgeflachten Schnupfens, ganz frisch in den Beinen.
Kurven gibt es in diesem Rennabschnitt so gut wie keine, und wenn dann sind es 90°-Abbiegungen, die entweder durch Fackeln, Flutlichter oder RTW-Scheinwerfer beleuchtet sind.
Irgendwo zwischen Kilometer 2 (den wir wieder glatt bei 8 Minuten passierten) und Kilometer 3 hatte ich das Gefühl, dass mein „Tempomacher“ ein wenig die Luft ausging.
Oder wurde ich jetzt nur einfach richtig warm?
So oder so überholte ich den Mann, passierte etwas später Kilometer 3 wieder bei nahezu glatt 12 Minuten und betrachete meine neuen „Vordermänner“, als wir von den Feldwegen runter und rauf auf eine große, relativ gut beleuchtete und abermals schnurgeraden Straße geführt wurden.
Ein richtiges Pulk sah ich nicht vor mir. Lediglich ein paar einzelne Läufer, sowie 2 junge Frauen, die von einer Fahrradfahrerin begleitet wurden.
Ich passierte sie etwas vor Kilometer 4, den ich erstmals in diesem Rennen unter 4 Minuten lief. Scheinbar hielten die beiden dank des Begleitrades also genau 4 Minuten pro Kilometer.
Nach einigen hundert Metern erreichte ich einen der schönsten Passagen dieses Rennens: Die Strecke führte uns durch einen kleinen Straßenzug, den die Anwohner mit unzähligen Teelichtern und Fackeln in ein herrliches Lichtermeer verwandelten.
Ein kleiner Junge am Straßenrand zählte uns laut durch.
Seiner Zählung nach liege ich momentan an 28ster Position.
Kurz darauf ruft uns ein anderer kleiner Kerl lauthals zu:
„Wenn ihr noch eine Schippe drauflegt, könnt ihr alle noch siegen!“
Na das sind ja mal aufmunternde Worte…
Es geht weiter durch die Randbezirke von Zons, immer im Halbdunkel.
Mühsam hänge ich mich an einen weiterer Läufer an und so langsam kommt in mir der Gedanke auf, dass ich mich von diesem eigentlich ganz gut ins Ziel „ziehen“ lassen kann.
Das Tempo ist nicht zu schnell, aber auch nicht wirklich lahm.
So geht es über einen Parkplatz und auf einem sehr schmalen Weg um die Zollfeste Zons herum.
Diese Stelle ist wirklich total surreal zu laufen!
Der Weg ist kaum mehr als einen Meter breit, rechts ragt das grobe Mauerwerk der Zollfeste in den Himmel, links begrenzen mannshohe Fackeln die Strecke.
Da man so wenig wie möglich von deren Geruch einatmen will, laufen wir am äußersten rechten Rand. Die Schulter kratzt fast am Mauerwerk und durch die vorhandenen Kurven komme ich mir beinahe so vor wie ein Jetpilot im Geländetiefstflug.
Leider dauerd dieser Abschnitt nur wenige hundert Meter, danach laufen wir über einen kleinen Anstieg auf den Eingang der Festung zu.
Die Strecke ist hier so angelegt, dass wir zum Einen die Läufer sehen, die gerade in die Festung einlaufen, uns sozusagen nur wenige hundert Meter vorraus sind, aber gleichzeitig können wir ebenfalls die Läufer sehen, die gerade die Festung wieder verlassen. Die haben dann aber schon fast einen Kilometer Vorsprung auf uns.
Und tatsächlich erkenne ich kurz ein kleines Pulk, welches gerade die Festung verlässt. Scheinbar die Führungsläufer.
Viel wichtiger für mich ist aber eine andere Entdeckung:
Einer der Läufer, die gerade in die Festung einliefen, trug das Trikot des Lauftreffs meiner Firma!
In dieser „Geschwindigkeitsklasse“ haben die eigentlich nur einen Läufer, ebenjenen dem ich bereits beim EVL 10km-Lauf in Leverkusen knapp unterlegen war.
Was mache ich dann also hier hinten?
Damals konnte ich gut mit ihm mithalten, obwohl ich nur wenige Stunden zuvor in Neuss eine neue Persönliche Bestzeit über 5000m aufgestellt hatte.
Heute war ich ausgeruht, dann sollte ich doch also locker mit ihm mithalten können!
Der Vorsprung seines 3er-Pulkes auf mich betrug zwar einige Hundert Meter, aber das schaffe ich.
Noch auf der Zufahrt zur Festung ließ ich meinen Vordermann stehen und beim Einlauf in die eigentliche Festung überholte ich ein großes 5er-Pulk voller Selbstbewusstsein.
Die können mir gar nichts, denn mein Platz ist eindeutig da vorne!
Dieses Gefühl, diese rotzfreche Art zu laufen… das flashte mich total.
Jetzt lag niemand mehr zwischen mir und meinem Ziel-Pulk, aber das war mir in diesem Moment total egal: Die hole ich sicher ein.
Der Belag wechselte auf Kopfsteinpflaster, zum Glück trocken und nicht rutschig.
Durch die engen, verwinkelten Gassen, konnte ich mein Ziel nur noch selten sehen. Aber tatsächlich schien sich die Distanz zu verringern.
Aus dem großen Pulk hatte ich ebenfalls niemand an meine Fersen geheftet: Perfekt.
Kurz vor dem Ausgang der Festung bog plötzlich ein dunkler BMW mit neusser Kennzeichen vor mir auf die schmale Straße.
Noch waren wir ungefähr gleich schnell, also erstmal kein Problem für mich – von den stinkenden Abgasen einmal abgesehen.
Allerdings musste er jetzt zwei enge Torbögen passieren und bremste ab.
Ich rannte dem Idiot fast in den Kofferraum, tat in letzter Sekunden einen Seitschritt und quetschte mich zwischen dem Wagen und den Tormauern hindurch. Damit mich dieser Trottel nicht doch noch über den Haufen karriolt, zog ich mein Tempo kurzzeitig stark an und flog geradezu durch den zweiten Torbogen.
Vor mir fuchtelte ein Helfer wild mit einer Taschenlampe nach links, brüllte gleichzeitig dem Autofahrer einige angemessene Worte entgegen und sah mich kurz mit großen Augen an – dann war ich auch schon an ihm vorbei und hörte nur noch „Liiiinks, du musst nach liiinks“.
Unter mir bog die Streckenbegrenzung aus Teelichtern nach links ab, die ich halb laufend, halb hüpfend überquerte und irgendwie versuchte bei ca. 18 km/h aus vollem Lauf die 90°-Linkskurve, die die Strecke direkt nach dem Torbogen beschrieb, doch noch zu bekommen.
Es gelang mir tatsächlich, aber es muss schon sehr abenteuerlich ausgesehen haben.
Für einen kurzen Augenblick konnte ich wieder mein Ziel ausmachen, bevor es abermals hinter einer Kurve verschwand.
Als ich diese Rechtskurve erreichte, bog das Dreierpulk nur knapp Hundert Meter vor mir nach links ab und verließ damit das Carré der Festungsanlage.
Ich tat es ihnen gleich, und tauchte wieder in die diffusen Rad- und Feldwege ein.
Ungefähr bei Kilometer 8,5 – gut 2000m nachdem ich meine Verfolgungsjagd eröffnet hatte – erreichte ich endlich das Pulk und hängte mich an. Das Pulk bestand nun aus dem Tempomacher in neon-orange, einem weitereren Läufer in grün und dahinter mein Firmenkollege und ich, beide in blau.
Das Aufholmanöver hatte mich schon einiges an Kraft gekostet und ich hoffte inständig, dass die da vorne jetzt nicht mit irgendwelchen Sprinteinlagen rumzaubern würden.
Das taten sie aber nicht und so konnte ich mich tatsächlich ein wenig im Windschatten ziehen lassen und ausruhen.
Nach knapp 500m, also weniger als 2 Minuten, jedoch stieg der grüne Läufer aus.
Er blieb nicht stehen, aber der Abstand zum Führungsläufer wurde merkbar größer. Jetzt waren es schon fast 2 Meter.
Mein Firmenkollege lief rechts fast neben mir, der Tempomacher links in knapp 4 Metern Entfernung, als ich den grünen Mann hinter mir ließ.
Auf welches Pferd setze ich nun?
Orange oder blau – orange oder blau?
Orange!
Ich legte ein paar schnellere Schritte ein und heftete mich direkt an die Fersen des orangen Läufers, welche noch immer sein Tempo konstant lief.
Langsam verebbten die Schritte meines Firmenkollegen hinter mir.
Meinen Blick richtete ich stur auf die Waden meines Vordermannes, konzentrierte mich darauf, ob er schneller oder langsamer wurde und blieb stur an ihm kleben.
So passierten wir Kilometer 9, verließen den Radweg und bogen rechts ab auf einen Feldweg. Diesen Abschnitt erkannte ich sofort von letztem Jahr wieder!
Wir haben es bald geschafft: Nur noch bis zu den Bäumen dort hinten, dann rechts am Feld entlang, hinters Stadtion und auf die Zielgerade.
Kinderspiel!
Jetzt gab es nur noch eine Frage: Wer würde zuerst zum Schlußsprint ansetzen?
Er oder…
Mein Vordermann wurde langsamer.
Nicht viel, aber ich musste meinen Laufrythmus ändern, wenn ich nicht auf ihn auflaufen wollte.
Ich zog nach links raus und setzte mich erst neben ihn, schließlich vor ihn.
„Das ist jetzt aber unfair.“, rief er mir zu.
„Es ist nicht mehr weit.“, antworte ich.
„Ich weiß, noch knapp 1 Kilometer.“
„Na dann komm mit.“, gab ich zurück.
„Ich kann nicht mehr…“, ächzte der Mann.
„Komm jetzt!“, brüllte ich ihn an, denn er lag nun bereits 3 oder 4 Meter hinter mir.
Und tatsächlich schloss er wieder etwas auf zu mir.
„Na also. Durchhalten jetzt!“, feuerte ich ihn an.
Kurz nach Kilometer 10 erreichten wir die Bäume, an denen der Weg hart nach rechts abbog.
Ungefähr hier konnte mein Hintermann dann leider nicht mehr mithalten, sein Schatten im Flutlicht, welches die Kurve erhellte, fiel immmer weiter achteraus.
Schade, aber mehr kann ich wirklich nicht für ihn tun.
Vor mir in einigen Metern erspäte ich einen kleinen Schatten.
Ich vermutete eine Läuferin darin.
Ziemlich flott.
Wird wohl nichts mehr werden, aber trotzdem versuchte ich sie noch vor dem Ziel zu erreichen.
Aber auch der Schatten zog das Tempo zum Schlußsprint an und verschwand deutlich vor mir auf dem kleinen Weg hinter dem Stadion.
Dort hatte sich der Moderator hinpostiert und sagte alle Läufer an, die ihn passierten. Auf diese Weise hatten die Zuschauer im Stadion immer die Information welcher Läufer als nächstes auf die Zielgerade im Stadion einbiegen würde.
Den kleinen Schatten vor mir, in dem ich eine flotte Frau vermutete, kündigte er als „Ersten Läufer der Klasse M60“ an…
Na ganz toll.
Von Opi niedergesprintet werden, nicht gerade ein gutes Gefühl.
Mit diesen Gedanken passierte ich die letzte Rechtskurve und betrat die Zielgerade, während hinter mir der orange Tempoläufer und auch mein Firmenkollege angesagt wurden.
Die würden mich nicht mehr einholen können, der M60-Läufer hatte vor mir gerade das Ziel passiert, den würde ich also auch nicht mehr einholen.
Ein Schlußsprint war also weder nötig, noch sinnvoll:
Ich breitete meine Arme weit aus und flog genüsslich ins Ziel.
Kurz darauf erreichten auch die Läufer meines Pulkes das Ziel und wir beglückwünschten uns alle gegenseitig für diesen tollen Lauf und fachsimpelten eine kleine Weile miteinander.
Meine Uhr stoppte übrigens bei 44:17min, die offizielle Nettozeit lag jedoch -warum auch immer- bei 44:22min.
Das ist aber noch immer erheblich schneller als meine 51:45min von letztem Jahr und brachte mich auf Platz 26 im Gesamtklassement, sowie auf Platz 2 der Klasse M30!
Damit endete für mich die Sommersaison.
Ich werde jetzt erstmal ein paar Wochen Trainingspause einlegen und danach geht es voller Elan ins Wintertraining, gespickt mit einigen Trainings- und Vorbereitungswettkämpfen für mein neues Großprojekt.
Bis dahin.
Keep on Running,
Euer Karsten


