Alternativtraining

Kasi im Küstennebel

Donnerstag, 24. November 2011

Mit den Worten „Keine Sorge, mir geht es wirklich gut“ mailte ich ein Bild an zwei Freunde und eifrige Blog-Leser.
Aber statt Bewunderung, oder wenigstens etwas Mitleid, hatte ich mal wieder die Lacher auf meiner Seite.
Und das kam so:

Alternativtraining.
So bezeichnet der Läufer sein Lauftraining, wenn er mal nicht läuft.
Was bei den Vielen zu Beginn arges Stirnrunzeln hervorrief, ist mittlerweile bei allen Profiläufern etabliert:
„Stabis“ (Rumpfmuskulatur-Stabilisierungsübungen), Radfahren, oder Schwimmen gehören zum Lauftraining. Dadurch bringt man etwas Abwechslung in den recht eintönigen Trainingsalltag, schont die Gelenke und auch der Körper bekommt neue, ungewohnte Trainingsreize, die er freudig aufnimmt und umsetzt. Im Idealfall, so weiß das schlaue Trainingsbuch zu berichten, besteht etwa ein Drittel der Wochentrainingszeit aus „Alternativtraining“.

So kramte ich vor einigen Tagen meine Schwimmhose und -brille heraus, die ich seit den Tagen meiner Feuerwehr-Vorbereitung tatsächlich nicht mehr benutzt hatte, wie mir jetzt klar wurde.
Schwimmen ist im leverkusener Sportpark mit 4,90 Euro pro 2 Stunden halt nicht so ganz günstig. Während ich meine Siebensachen in die Tasche warf, wanderten meine Gedanken zurück in jene dunklen Wintertage, als ich gerade erst mit dem Laufen und Schwimmen begonnen hatte.
Die Kraultechnik, 2-Schlag-Atmung, 3-Schlag-Atmung, „Freiwasser-Kraulen“ hatte ich mir mittels Youtube eingeprägt und, wie dort empfohlen, erstmal trocken zu Hause geübt.
Bäuchlings auf meiner Cachon liegend. Die Arme und Beine weit von mir gestreckt, unkoordiniert in der Luft fuchtelnd.
Ich schultere die ungewohnt leichte Sporttasche. Schwimmen hat schon seine vorteile.
Bei einem Rennen platzt die Tasche fast aus allen Nähten und auch fürs Krafttraining im Studio ist sie mit Sportschuhen, langer Hose, Trikot, 1 Liter Tee, 0.5 Liter Eiweiß-Shake, Badelatschen, ein großes Handtuch für die Geräte, Duschzeugs, Wechselunterwäsche und Socken, Badehandtuch nicht gerade leicht bepackt.
Zum Schwimmen braucht man nur Duschzeug, Handtuch, Badelatschen und die Schwimmhose.
Wie praktisch eigentlich!
Derart gedankenversunken mache ich mich auf den Weg zum CaLEVornia, wie unser örtliches Spaßbad heißt.

Vor 15 Jahren war dies noch ein normales Hallenbad mit 1er, 3er und 5er-Brett und einer angeflanschten Röhren-Rutsche.
Das alles in einem 6,30m tiefen und 25m langen und 8 Bahnen breiten Becken, sowie einem pisswarmen Mini-Nichtschwimmerbecken
für Freunde heiterer Fremdurinkuren. Wer „einfach nur schwimmen“ wollte, hatte damals die Qual der Wahl:
Auf Bahn 1 mündete im flachen Teil des Beckens die Rutsche und kotzte unaufhörlich Unmengen an Wasser, gespickt mit quickenden, knochigen Kinderleibern aus.
Auf Bahn 2 und 3 klatschten die Macho-Arschbomben vom 1er in wildem Stakkato aufs Wasser. Ok, die kommen nicht sehr wuchtig – aber plötzlich!
Bahn 4 und 5 war Psychologischer Natur: Bedrohlich wie ein Damokles-Schwert schwebt das 5-Meter Brett über diesen beiden Bahnen.
Geübte Schwimmer bauten hier nebenbei zusätzlich noch ihre empathischen Fähigkeiten aus:
„Ach was… so zögerlich wie der schon die Leiter raufschleicht… der springt eh nicht“
Und für den Fall, dass man sich verschätzt hatte, so hatte man noch 4 Meter Fallzeit mehr für einen wilden Ausweichversuch.
Bahn 6 und 7 waren die Gefährlichsten. Hier herrschte das 3m Meter-Brett. Und mit ihm all Jene Halbstarken, die fürs 1er schon zu cool, fürs 5er jedoch noch zu verhuscht waren.
Diesen Manko kompensierten sie mit Salti, Schrauben, Rittbergern, Rückenzwiebeln „Pseudo-Karate-Sprüngen“ und noch kurioseren Dingen,
zu denen eine grassierende Pupertät unter zeitgleicher Anwesenheit weiblicher Artgenossinen in knappen Zwirn verleitet.
Sie fielen wie 50kg schwere Hagelkörner in den unmöglichsten Flugbahnen vom Himmel, versenkten ganze Rentnerflottillen spurlos in den Fluten.
Die einzige, halbwegs beschwimmbare Bahn war die Bahn 8 – würde an ihrem Beckenrand nicht Hundertschaften von übermütigen Neuschwimmern hängen.
Ja, so war Schwimmen damals.
Der ganze Spaß war schon ab 4 Mark für 2 Stunden zu haben; Fußpilz und Chlorgasreizung gabs gratis dabei.
Durch einen Glastunnel konnte man das angeschlossene Freibad betreten. Hier gab es ein großes Becken, unterteilt in eine Art 15m-Bahn, einen Blubber-Teich, sowie einen Strömungskanal, die alle paar Minuten im Wechsel in Betrieb waren. Wir Pänz versuchten dort immer verzweifelt gegen die Strömung zu tauchen, oder im Blubberteich unter Wasser zu atmen.
Zumeist vergebens.
Das Freibad kostete in der Saison nur 2 Mark, für den kompletten Tag – (Zaunloch)Ortskundige kamen gratis hinein.
Natürlich zahlten wir *räusper räusper* bei Wind und Wetter nur 2 Mark, zogen uns in der ungeheizten Antik-Holzumkleide um und verbrachten dann einen schönen Gratis-Tag im warmen Hallenbad.
Sagte ich „gratis“? Ähm… nene, ich meinte… Ist das nicht eh schon verjährt?!

Mit diesen Gedanken betrat ich den „Dhünn-Speedway“, meine 1000m-Intervall-Rennstrecke.
Ausnahmsweise einmal in gemählichem Tempo.
Schlenderte vorbei an dem Sandspielplatz, an welchem ich damals mangels Vereinszugehörigkeit Weitsprung übte, und prompt von einem
Streifenwagen aufgegabelt wurde. (Es ist eine laaange Geschichte – und ich war unschuldig!) Ich passierte den ehemaligen „Geheimeingang“ zum ganz alten Freibad, den älteren Leverkusenern vielleicht noch als ‚Suppenteller‘ bekannt und betrat unseren Schwimmtempel im integrierter Sauna-Landschaft und Wellness-Oase.
Hier kann man eigentlich fast alles. Nur wenn man schwimmen will, wird man von den dümpelnden Bremsklötzen im Becken blöd angepampt.
Wie kommt man auch nur auf die Idee hier zu schwimmen?
In einem Schwimmbad…

Kurze Zeit später stand ich, Handtuch in der Linken, wasserdichte Uhr an der Rechten, badebelatscht vor dem Becken und taxierte die heutigen Gegner.
Männer und Sportler müssen halt irgendwie doch aus fast allen körperlichen Aktivitäten einen Wettkampf machen.
Ich als Mehrfachbetroffener habs da auch ganz schwer!

Bahnen gibt es hier heute mal wieder nur rudimentär.
Das Becken ist stattdessen mit rot-weißen Schwimmbarrieren „gedrittelt“, was bedeutet, dass zwei der sechs Bahnen vom Aquarobic-Kurs belegt werden.
Einem Stillleben gleich dümpelten dort 25 schnappatmende Badehauben, angeführt von einem Schwimmmeister, der verblüfft mitansehen muss, wie sein Kurs schon bei der Übung „Toter Mann“ in hochpulsige Belastungsspitzen verfällt.
Zu den Füßen des Trainiers, direkt am Beckenrand, steht übrigens ein handelsüblicher Doppelkassetten-CD-Player mit 230V-Anschluss.
Na der hat ja wahres Gottesvertrauen in die Statik seiner Teilnehmer – oder zumindest in die FI-Schutzschaltung der Elektroinstallation!

Drei Bahnen sind der Allgemeinheit zugänglich.
Geschminkte Hausfrauen mit Blümchenbadekappen und Ohrringen, sowie ältere Menschen, die ihrem Schöpfer vermutlich ebenso nahe sind, wie der junge Mann am Beckenrand mit dem Kassettenrekorder in „Wasser-Schwapp-Nähe“.
Junge, anmutige Seerosen sieht dieser Beckenabschnitt nicht sehr oft und auch heute erblickte mein taxierender Blick nur Schwimmer der Gattung „Elodea canadensis“ (deutsch: Wasserpest)

Wer gut im Kopfrechnen ist, der hat längst überschlagen: Es fehlt noch eine Bahn!
Und ebenjene ist die „Schnellschwimmer-Bahn“.
Hier wird noch Sport betrieben.
Hier trägt jeder eine Schwimmbrille.
Hier gilt das Recht des Schnelleren.
Wer hier nicht mithalten kann, kommt unter die Räder… ähm Flossen.
Kraulen im 3er-Schlag ist das Mindeste, die Crack’s durchpflügen im 2er-Schlag die kabbelige See.
Brustschwimmer sehen hier kein Land.
Nicht weil „wir“ Krauler sie verpöhnen; Mit Gegenverkehr ist auf einer Bahn einfach nicht genügend Platz für weit ausholende Arm- und Beinbewegungen!
Die Spielregeln sind einfach:
– Der schwarze Kachelstreifen am Beckenboden ist die Trennlinie.
– Es gilt absolutes Rechtsschwimmgebot.
– Überholt wird nur an den Wendepunkten.

Männersport!
Ok, die Profischwimmerin, die delfingleich und schneller durchs Wasser gleitet als viele Walker zu Lande „walken“, darf auch.
Von der Schulterbreite her übertrifft sie uns Männer ja ohnehin allesamt.

Lässig baue ich mich am Kopfende der Schnellschwimmerbahn auf, feuere mein Handtuch auf eine Liege am Beckenrand, parke meine Latschen davor und schwinge die Beine zum Akklimatisieren ins Wasser.
Wir Haie machen das so.
Die Treppe benutzen ausschließlich die „Nur-So-Zum-Spaß-Schwimmer“.
Routiniert wandern meine Hände zum Hals und suchen tastend nach der Schwimmbrille.
…aber sie können sie nicht finden.

Um es kurz zu machen (und mir eine abermalige Demütigung zu ersparen):

Ja, ich Depp habe die Schwimmbrille zu Hause im Bad vergessen!

Aber von so einem kleinen Maleur lässt sich ein angehender Topathlet doch nicht aufhalten.
Nachdem ich mich noch zwei, drei Mal vergewissert hatte, dass ich die Brille nicht doch umhängen hatte, sie aber nur nicht auf Anhieb an meinem Halse
finden konnte, ließ ich mich in die Schnellschwimmerbahn gleiten.
Fauchend und mit den Armen wie ein wildgewordenes Missisippi-Shuffleboat das Wasser aufpeitschend, kam einer der wenigen anderen Schnellschwimmer auf mich zu.
Innerlich ein wenig panisch, ob dieses Anblickes, stieß ich mich vom Beckenrand ab und kraulte wie von Sinnen drauf los.

Bereits nach 2 Bahnen war ich völlig außer Atem: Ich war mal wieder viel zu hastig unterwegs.
Warum sollte ich zu Wasser auch vernünftiger sein, als zu Lande!?
Nach weiteren 6 Bahnen hatte ich aber schließlich einen akzeptablen Rythmus im 2-Schlag gefunden und kraulte munter, den Kopf stehts unter Wasser vor mich hin.
Alle 500m legte ich 2 Bahnen Brustschwimmen ein, um ein wenig zu verschnaufen.
Als ich nach knapp 23 Minuten die 1500m – Halbzeitmarke erreichte, wurde meine Sicht ein wenig trübe.
Irgendwie scheinen die hier eine Nebelmaschine am Start zu haben.
In der alten Eishalle gabs am Wochenende immer Ice-Disco – haben die das hier im Schwimmbad auch?
Nach 2000m hätten, jedenfalls nach geltendem Seerecht, sämtliche Schwimmer vor mir Positionslichter setzen müssen, so dicht wurde die Suppe.
weitere 500m später hätte ich schwören können, dass ich in der Ferne kurz den Lichtstrahl eines Leuchtturmes aufblitzen und wieder verschwinden sah.
…es kann aber auch nur ein Autoscheinwerfer auf dem Parkplatz gewesen sein.
Als ich nach 48 Minuten schließlich die 120te Bahn und somit mein Pflichtpensum von 3000m beendete, reckte ich verzweifelt einen Arm nach vorne, um nicht unverhofft
vor den Beckenrand zu karriolen.
Zum Glück war ich mittlerweile der einzige Schwimmer auf der Bahn, sodass ich mir weitere 500m Rückenschwimmen im „Nur-Beinschlag“ gönnte.
Den Kopf immer schön über Wasser.

Auf dem anschließenden Nachhauseweg dämmerte es mir, dass meine Augen die knappe Dreiviertelstunde im Chlorwasser nicht so derbe prall gefunden hatten.
Es juckte mich HINTER den Augäpfeln.
Versucht euch mal dort zu kratzen!
Einzig durch leichtes Augenrollen konnte ich mir Linderung verschaffen.
Auf Kosten eines ziemlich nervigen Brennens hinter den Augenliedern.
Im heimischen Bad angekommen feuerte ich erstmal die treulose Schwimmbrille vom Waschbecken in die Dusche und spülte meine Augen gründlich mit lauwarmen Wasser aus.

Hier ist übrigens das eingangs bereits erwähnte Beweisfoto:

Aber keine Sorge,
Mir geht es wirklich gut!

Euer Karsten

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