Kasi prêt-à-porter

Schein und Sein im Modetempel

Mittwoch, 16. November 2011

Während der Winter 2010/2011 zumeist arschkalt und total verschneit war, so glänzt die diesjährige Ausgabe bisher vor allem durch eines: Abwesenheit.
Zudem kam Väterchen Frost letztes Jahr auch noch so unverhofft, dass wir Läufer direkt vom Sommertankshirt auf den Langarm-Neopren, Marke „Sternklare Polarnacht“, wechselten.
Infolge dessen muss ich mich jetzt mit einem neuen Problem herumschlagen:
Es mangelt gar sehr an Übergangskleidung!
Meine Shirts sind mittlerweile zu luftig, der Neo noch viel zu warm, und die Kombination Shirt plus Jacke ist einfach nicht tempotauglich.

So machte ich mich also frohen Mutes auf zum örtlichen Sportdress-Tempel und hielt Ausschau nach körperbetonter Winterfunktionsware, am liebsten Fabrikat „Coole Sau auf Tour“.
…jegweder Zusammenhang zu meinen neidischen Blicken auf die Tri-Tops der Super-coolen Triathleten vergangenen Sonntag ist völlig aus der Luft gegriffen!
Im Sportgeschäft selbst herrscht irgendwie immer emsiges Treiben und bereits nach kurzem Gestöber an einem der hochpreisigeren Kleiderständern umwuselte mich eine junge Dame.
Fesch, hochsympathisch und gut in Schuss.
„Darf ich Ihnen behilflich sein?“
In meinem Hinterkopf trällerte Bodo Wartke unverhofft:
„Das Problem, das ich mit langsam den Miezen krie’sch: Ich Dutze sie, sie Sietzen mich…“
Wie lange ist es her, dass ich in einem Geschäft gedutzt wurde?
Kostete da ein Brötchen noch 25 Pfennig, oder bereits 25 Cent?
In freudiger Erwartung auf eine Antwort meinerseits, sah mich die Frau mit den großen… Augen… an.
Meine Augen erwiederten wahrscheinlich etwas in der Art von „Mach dich naggisch, und dann sehen wir weiter“, mein Mund jedoch formulierte tapfer:
„Ich glaube… mir ist nicht mehr zu helfen“.
Wie wahr.
„Also ich suche eine Art evolutionäres Bindeglied zwischen dem hier“, ich deutete auf die ultradünnen Tankshirts im Kleiderständer, „und diesem hier“, ich kramte meinen Neo aus der Tasche.
Der Blick der Verkäuferin hellte sich auf, und zielstrebig bugsierte sie mich zu einem Aufsteller.

Dort hingen kunstvoll hergerichtet eine ganze Reihe superenge, ultracoole, schwarze Tops, an utopisch modellierten Papp-Adoni(ssen?)
Hochleistungssportler-Funktionsunterwäsche.
Genau das Richtige für einen Nachwuchs-Frodeno wie mich!
In Gedanken stellte ich mir vor wie ich in diesem Teil beim nächsten Rennen aussehen würde:
Meine definierten Muskeln würden darin sicherlich extremst gut zur Geltung kommen, der flache Bauch optimal betont, schmiegt sich das Material um meine schmalen Hüften und geht dann fließend über meinen Knackepo in meine Power-Oberschenkel und Stahlwaden über…
Die Verkäuferin musterte mich ebenfalls ausgiebig und griff dann zu einem Exemplar in Größe 54.
Will die mich beleidigen?
Schlabberlook is nich mehr, Schätzelein.
Habe ich gerade nicht deutlich und ausführlich beschrieben wie ich in Erscheinung zu treten gedenke?
Mit meinem charmantesten Lächeln winke ich ab und greife zielstrebig zur Größe 52 und husche in die Kabine.
Kurz warten.
Die Verkäuferin bleibt draußen.
…man wird ja wohl noch hoffen dürfen!

Also raus aus den Alltagsklamotten und rein in die Rennpelle.
Ein heroischer Hauch von Kona, Hawaii weht durch die Kabine, als ich mir das Shirt überstreife… verfliegt jedoch schlagartig wieder, als ich mit dem Kopf im Halsbund stecken bleibe.
Was soll das denn jetzt!?
Gefangen wie eine Wurst im eigenen Darm winde ich mich wieder heraus und suche den Reißverschluss, um das Halsstück zu weiten.
Hat keinen Reißverschluss
Wie auch, ist ja Unterwäsche.
Also nochmal mit Schwung und mit den Armen vorran!
Diesmal deuten die Bundnähte mit leichten Knistern und Reißen an, dass sie bei meiner Auslegung der Kleidergröße keinen Spaß verstehen.
Den rechten Arm bereits komplett im Ärmel, den Linken auf Ellenbogenhöhe verkantet, gaffte mich durch den -wen wunderts?- noch immer viel zu engen Halsbund ein hochroter Kopf aus dem Spiegel an der Wand an.
„Ist bei alles in Ordnung bei Ihnen?“, säuselt es von der anderen Seite der Kabinentür herüber.
„Ja, …alles ganz wunderbar.“, versuche ich in möglichst normaler Stimmlage zu antworten.
In Gedanken ergänze ich, „Die Kinder in Malaysien haben nur eine Charge falsch etikettiert, das hier ist maximal Größe 46.“
Nachdem ich mich aus meiner Quasimodo-Zwangsjacke befreien konnte, trat ich wieder vor Esmiralda.
„Ist vielleicht doch noch ein wenig spack hier und da“, gebe ich geknickt zu.
Oh, Frauen können ja so viel ‚Ätsch, du Specknacken – Das hab ich doch gleich gewusst!‘ in ein -für Außenstehende- charmantes Lächeln legen.
Na warte du mal ab!
Gleich, wenn ich die Rennpelle übergestreift habe, werde ich einfach aus der Kabine treten, den halben Laden auf der Suche nach einem Wandspiegel durchschreiten -wortlos selbstverständlich: Understatement ist die halbe Miete- und dann mla schauen wer hier zuletzt lacht, Fräulein.

Ich verschwand also abermals in der Umkleide, diesmal mit der 54er Zirkuszelt-Ausgabe.
Nun jedoch passte alles wie angegossen.
…wenn man den Verlauf der Nähte an den Armen mal ignoriert.
Die müssen, glaube ich jedenfalls, nicht zwingend spiralförmig um den Arm verlaufen, oder doch?
Ich warf einen Blick in den Spiegel, um meinen adonisgleichen Luxuskörper zu begaffen – und stellte erstaunt fest, dass hier scheinbar irgendein Spaßvogel einen Zerrspiegel in die Kabine gebaut haben muss.
Diese hühnerbrüstige, dünnarmige und schmalschultrige Ironman-Persiflage kann doch unmöglich ich sein… und warum hat der Hersteller des hautengen Oberteiles ausgerechnet über dem Bauch ein den Stoff etwas dicker ausgelegt?!
Ich zog den Stoff hoch und suchte vergeblich nach zumindest einem Hauch eines Ansatzes eines Mini-Bauchmuskels.
Meine Theorie ist ja seit längerem, dass die Jungs und Mädels Anno ’89 bei der OP nach meinem ersten, größeren Rennrad-Unfall da ein Tuch in mir vergessen haben.
Das liegt da seitdem direkt und passgenau über der Mörder-Murmelbahn vor dem Herren – Es gibt eigentlich keine andere, logische Erklärung für mein immerwährendes Minibäuchlein.
„Ist Größe 54 jetzt angenehmer?“, schallte es herüber.
Boah, Mädchen…

Ein paar Tage später betrat ich wieder jenen Sporttempel, diesmal auf der Suche nach einer neuen Schwimmhose.
Körperbetont natürlich.

Aber dies ist wieder eine andere Geschichte,

Euer Karsten

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