God is … a DeeJay

Sonntag, 15.06.2014 – Aasee-Triathlon, Bocholt

Leise knirschen die kleinen Steinchen auf dem Weg unter mir.
Mein Atem geht schnell aber kontrolliert.
Ich fliege dahin.
Frei, in mir.

Der Schwimmstart war vor einer Ewigkeit, ganze 100 Minuten zuvor.
Die Schläge und Tritte sind nur mehr Erinnerungen.
Dass ich meine Zoggs Schwimmbrille auf dem Weg zur Wechselzone verloren und einfach habe liegen lassen ist längst vergessen
Der unbeschreibliche Moment, als ich auf der Bundesstrasse zum ersten Mal die Perlenkette aus 30 Rennradfahreren vor mir sah, ist unwichtig geworden.
Das Gefühl, als ich sie alle am Stück überholte und mich innerhalb weniger Minuten von Platz 37 auf 7 vorschob, kam mir so groß vor.
Jetzt ist er nichtig.
Die aufmunternde „High Five“-Hand des Postens am vorletzten Wendepunkt, Signal, dass ich jetzt schon in den Top 5 lag … egal.
Die Genugtuung, als ich kurz nach dem letzten Wendepunkt den Niederländer überholte und somit auf Platz 4 gelangte – unwichtig.
Meine Unsicherheit, ob ich das Lauftempo des nur wenige Meter vor mir liegenden Drittplatzierten überhaupt mitgehen konnte; verflogen.

Ich fliege.
5 Kilometer liegen hinter mir, die Hälfte.
Derzeit bin ich auf Platz 3 – wenn ich mich nicht verzählt habe.
Abby, die extra mit ihrem Freund aus Trier angereist kam !, feuert mich in jeder Runde aus voller Kehle an.
Ingo ist zigfach auf der Laufrunde unterwegs, wie er das macht? Keinen Schimmer!
Er schießt Bilder, ruft Dinge… Zahlen, Irgendwas.
Ich fliege.
In mir.
Frei.

Der Blick stur auf die nächsten paar Meter vor mir gerichtet, kommt mir nur plötzlich nur noch ein Gedanke in den Sinn.
Ein Gedanke, der all diese Sachen in mir ausgelöst hat, ausgelöscht hat.
„God… is a DeeJay“
Faithless.
Das bin ich.
Ungläubig.
Als Kind war Glauben so einfach.
Ein Mann auf der Wolke, der nur das Beste für uns Menschen will.
Mit der Zeit, mit dem Erwachsenwerden, wurde dieses Bild natürlich unwirklicher.
Aber mit jeder weiteren Verletzung, jedem Schmerz, jedem … Verlust, wandelte es sich weiter ab.
Bis ich gar nicht mehr glaubte.
Kein Gott kann das wollen was ich erlebt habe.
Wie kann ein gutmütiger Gott einem Menschen jegwede Hoffnung rauben?
ihn in den Freitod treiben?
Andererseits… meine Cousine glaubt.
Nicht an den Mann auf der Wolke.
Aber an etwas anderes.
Etwas, dass ihr Kraft gibt. Und Hoffnung.
Ich blicke weiter auf den Weg vor mir.
„God… is a DeeJay“
Damals, als das Lied erschien fand ich es doof. Ich war „Metalhead“ und fands überheblich von den Technos zu behaupten, dass Gott ausgerechnet ein DJ sein sollte.
Bis ich verstand was Faithless wirklich damit sagen wollte.
Was Gott für ihn ist. Was Techno ihm, Faithless, gibt.

Ich fliege weiter über den Weg.
Hochkonzentriert, und dennoch frei über Faithless nachzudenken.
Was gibt mir Kraft? Mut? Ausdauer? Hoffnung? Zuversicht?
Dieser Moment!
Hier. Jetzt.
Ich fliege.
Frei in mir; Hier im Jetzt.
Die Letzte Runde ist vorbei.
Ein letzter Kontrollblick auf die Uhr: 10km in 36:43min.
Ich biege ab in den Zielkanal, nehme die Brille ab. Plötzlich jubeln mich alle an, als sie sehen, dass ich rechts in Richtung Ziel abbiege. Überwältigt und den Tränen nahe balle ich kurz vor Freude beide Fäuste. Die Menschen jubeln noch mehr.
Locker laufend biege ich ums Eck, Eindrücke, Töne, Bilder stürzen auf mich herein als ich die Ziellinie überquere und die Uhr stoppe.
Zwei andere Triathleten klatschen mich ab, ein Fotograf will ein Bild von uns Dreien.
Erst jetzt realisiere ich, was hier gerade passiert: Ich bin auf Platz 3!

2011 habe ich zum ersten Mal in einem Buch (Barfuss auf dem Dixieklo) von diesem Wettkampf, ja überhaupt zum ersten Mal bewusst vom Triathlon gelesen.
2012 saß ich nach meiner schweren Mandelentzündung und Beinahe-Herzmuskel-Entzündung mit Abby nur wenige Meter von der Zielline auf der Wiese und genoss diese ganz besondere Atmosphäre.
2014, Tränen fließen, ich kniee mich auf den Rasen.

Ich glaube, zumindest für diesen, Moment: „God… is a Triathlet“

Euer Karsten

Der Wettkampf in Zahlen:

Aasee-Triathlon, Bocholt (1,5 / 40 / 10)


2:02:14h, Platz: 3, M30: 2
S: 0:23:34h
T: in "B"
B: 1:02:06h
T: in "B"
R: 0:36:43h

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