Samstag, 26. Februar 2011
Tapering (auch UWV = Unmittelbare Wettkampfvorbereitung) ist die hohe Kunst des Nichtstun.
Des gezielten Nichtstun, um genau zu sein.
Meine Artverwandten, die Marathonis, habens da echt ziemlich gut:
Sie ‚genießen‘ wochenlanges Taperin, um ihre maximale Kraftreserven aufzbauen, müssen ihren Körpern den nötigen Rückhalt für 42,195 km geben.
Zwischendurch lockeres Training, ab und an ein paar Minuten im Wettkampftempo, um die antrainierte Muskelspannung zu erhalten.
Ansonsten stehen 2 oder 3 Saunagänge und Massagen auf dem Wochenplan, Ausschlafen – und sonst nichts.
Meist einhergehend mit ausgiebigen Carbonloading.
Erlaubt ist eben alles, was nicht fettig ist.
Wir 5 und 10km-Läufer sitzen da wieder zwischen den Stühlen:
Wir Tapern nicht so lange, ich persönlich meist nur die letzte Woche vor einem Rennen. Bei derzeit 11 geplanten Starts von März bis Dezember wäre sonst auch gar keine Zeit fürs Training mehr.
Aber um ehrlich zu sein, reicht mir diese eine Woche „Nichtlaufen“ bzw „sehr wenig Laufen“ schon, um mich an den Rande des Wahnsinns zu bringen!
Folgende Ausgangsituation:
Letzte Woche Sonntag sollte mein erster Referenzlauf mit Zielzeit 40min oder weniger stattfinden.
Das Wetter war klasse, ich war sowas von austrainiert, very getapert – und am Stichtag erkältet.
Da hab ich also gleich weiter getapert (der Volksmund nennt das Genesung), und beschlossen den Referenzlauf eine Woche später abzuhalten.
Also morgen.
Die Vorbereitung, Kleidung, Schuhe, und den Lauf selbst wollte ich so nahe wie möglich an ein echtes Rennen heran führen.
Hier nun also exemplarisch die Leiden des Dummschwitzers am Samstag, dem 26.02.2011.
Auch bekannt als „Der Abend vor einem (simulierten) Rennen“.
[Eine kleine Anmerkung für meine ‚Nichtlaufende Leser‘:
Einige der folgenden Schilderungen könnten recht merkwürdig Anmuten. Vor allem das Essverhalten.
Darum nochmal zur Verdeutlichung. Wir reden hier ausschließlich von den letzten 36 Stunden vor einem Rennen. Das ist nicht die Regel!
Und unter uns: Ich bin mit Suppe, Aspirin und Nasenspray echt ein Unschuldslamm. Wenn ich da an die Abführmittel- und Diclofenac-Fraktion, die Calcium- Einlauf-Junkies denke… (und ich meine nicht den Zieleinlauf!)
Vieles davon ist sowieso nur psychologischer Natur, denn ein Großteil des Rennens findet eben im Kopf statt.]
10:00 Uhr – Nach 12 Stunden Schlaf torkelt ein hirntotes Etwas über den Wohnungsflur.
Geweckt vom elendigen DHL-Terroristen im Dienste der Amazon.
Mit seinem unförmigen Patschehändchen hat der so ziemlich jede Klingel im Haus gleichzeitig erwischt.
Ich reiße, wie 3 andere Hausbewohner ebenfalls, die Tür auf – in freudiger Erwartung der Jupiter Jones-DVD.
Es hallt „Pooohooost“ von unten und direkt fällt die Haustür unten wieder ins Schloss.
Schweigen.
Stille.
Nach und Nach schließen sich alle Türen wieder. Auch meine.
Gut, dann wird die DVD wohl später geliefert.
10:30 Uhr – Ich falle aus dem Bad, direkt vor den Kühlschrank.
Die Waage zeigte mir 79.8kg. Schonmal nicht schlecht.
Seit gestern ernähre ich mich ausschließlich von Eiweißshakes, wässrigen Suppen, Fruchtsaftschorlen, Obst, Tees und gezielt platzierten MaxCarb-Riegeln mit dem Energiegehalt eines 5-Gang-Festtagsmenues. Inkl. Cappucino und Gebäck!
Es wartet ein herrlich eiskalter Shake auf mich.
Schmeckt zum Kotzen, aber der ging gestern wirklich nicht mehr rein und wegschmeißen wollt ich ihn auch nicht.
10:40 Uhr – Die Laufklamotten sind angelegt.
Jetzt gehts loohoos, jetzt gehts loohoos, jetzt gehts… erstmal wieder zum Kleiderschrank: Heute ist Trainingsfrei.
10:45 Uhr – Da ich den Pulsgurt schonmal an habe, starte ich eine Ruhepuls-Messreihe.
11:30 Uhr – Ernüchterndes Ergebnis: 47 bpm.
Das sind knapp 10 mehr als normal. Die Erkältung ist noch nicht ganz weg!
12:00 Uhr – Ein kurzes Telefonat mit meinem Tattoo-Studio: Ich muss den Termin 3 Tage rückverlegen. Schon schön doof, wenn man nur in den Trainingsplan schaut, nicht aber auch noch auf den „normalen Kalender“. Ich nutze die Gelegenheit nochmals die Details zu klären. Es ist ja nicht so, dass ich gestern nicht dort war…
„Jaja, bleibt alles wie besprochen. Ja… nee, eine Sitzung, wenn die Haut mitspielt. Ja ich weiß, Läufer, Trainingsausfall, volles Programm…“
Wirke ich denn so aufdringlich?
12:03 Uhr – Mir ist langweilig!
Normal wäre ich jetzt gute 2 Stunden mit Laufen beschäftigt, danach Dehnen, Duschen, Wäsche machen, Kleinigkeit essen, viel trinken, Zeiten auswerten und in Excel eintippen… Dann wärs fast 15 Uhr und ich würde einkaufen gehen.
12:05 Uhr – Ich gehe einkaufen.
Zusammen mit meinem Schwesterherz.
Ich brauche neue Riegel: 6 Protein, 4 MaxCarb, 3 Suppen.
Für das Frühstück nach dem Lauf noch Eier, Paprika, Shrimps, Kürbiskernbrot, würzige Putenbrust, Magerquark, Nutella. Das volle Programm!
Unten am Briefkasten lacht mich eine vorwurfvoll gelbe „Ich war da, wo warst du?“-Karte vom Briefträger an!
Dieser faule Arsch. Ich war doch auch da. Nur eben 3 Stockwerke höher. Musst halt einfach mal den klobigen Arsch hoch bewegen, oder zumindest ein „Päckchen für Hernn Dummschwitzer“ hochträllern, dann wäre ich sogar runter gekommen.
Mann, ey!
12:30 Uhr – Dummschwitzer und Dummschwitzer-Schwester sind zurück.
‚Nebenbei‘ frage ich das Schwesterlein, ob sie morgen Lust auf einen Spaziergang hätte.
So um die 40 Minuten an der Dhünn entlang.
Sie stimmt zu.
Hätte ich ihr sagen sollen, dass sie die Meiste Zeit alleine spazieren wird?
Aber irgendwer muss mir ja schließlich meine Jacke und die lange Hose nach dem Lauf reichen. Vom Finisher-Tee mal ganz zu schweigen.
Wir verabreden uns gegen 15 Uhr zum Chai-Tee trinken und DVD schauen.
13:00 Uhr – Ich werfe meinen Bollerofen an. Mal davon abgesehen, dass meine Isolierpölsterchen mittlerweile alle dem Lauftraining zum Opfer gefallen sind, ists wirklich recht fröstelig in meiner Behausung.
13:10 Uhr – Mir ist so langweilig, dass ich mich daran mache meine Excel-Tabellen noch etwas zu ‚pimpen‘:
Einen Karteireiter bei welcher Trainingseinheit ich welchen Schuh getragen hatte mit angehangener Kilometerberechnung für jedes einzelne Paar wollte ich schon immer einbauen.
14:30 Uhr – Excel ist doof!
14:31 Uhr – Mir ist langweilig…
14:32 Uhr – Ich bemerke, dass nur noch eine Birne in der Obstschale liegt.
Das ist jetzt aber doof.
Trotzdem bin ich zu faul zum Nachkaufen.
Tapering bedeutet ja immerhin Schonung der Beine!
14:36 Uhr – Ich versuche auszurechnen wie viele dieser kleinen Holzhubbel meine rauhfasertapezierte Küchendecke hat.
Man müsste nur einen representativen Teil ausmessen, so 10x10cm, penibel durchzählen und auf die Fläche der Zimmerdecke…
15:00 Uhr – Schwesterherz erlöst mich.
Ich koche Tee, schäume Milch. Wir schauen „Zack and Miri make a porno“.
Sehr lustiger Film!
Dummschwitzer-Schwester begafft den blanken Hintern von Jason Mewes (der von Silent Bob) und ich verfalle vom Fleck weg den Augen von Elisabeth Banks.
Jason hat Nacktszenen, Lissy nicht.
Unfair!
17:00 Uhr – Film aus, Tee leer, Schwester weg.
Mir ist langweilig!
Kontrollwägung ergibt: 79.2kg.
Bis zum Start liege ich dann bei einer guten 78.5, netto.
Wird schon.
19:00 Uhr – Fussball ist doof. Lautern spielt 1:1.
Bayern – Dortmund ging an mir vorbei.
Ich würde es Kloppo gönnen, trotzdem er Mainz verlassen hat!
19:20 Uhr – Gesicht rasiert. Ich sah ja aus wie ein halber Neandertaler.
Zeit für die erste Aspirin plus C.
Nicht als Schmerzlinderer. Blutverdünnung lautet das Stichwort.
Außerdem ist es meiner Verdauung förderlich.
19:45 Uhr – Läuft!
20:00 Uhr – Schonmal schnell ins Outfit hüpfen.
Herr im Himmel, wenn du nur so schnell wärest, wie du ausschaust!
Blaues Shirt auf brauner Haut.
Wo sind die paarungwilligen Groupies, wenns was zu tun gäbe?!
Ich lege die Klamotten schonmal für morgen parat und lege das Nasenspray raus.
Das bläst die Schleimhäute garantiert für 45-60min ins Nirvana: Freie Luft für gequälte Lungen.
Nicht empfehlenswert, aber für die wirklich schnellen Rennen vertretbar.
20:25 Uhr – Ich kontrolliere die Klamotten für morgen.
Wo hatte ich noch gleich das Nasenspray hingelegt?
20:35 Uhr – Tee kochen, Riegel und Shakes bereit legen, Die Frühstücks-Aspirin und -Birne schonmal aufbacken.
Hmmm, lecker…
20:55 Uhr – Langsam setzt die Müdigkeit ein.
Bin nur ein wenig zu aufgeregt zum Schlafen.
Ich denke, ich schreibe noch etwas in den Blog und mach mich dann lang.
Vorher noch die „Gute-Nacht-Aspirin“.
Wahrscheinlich werde ich wie vor einem echten Rennen kaum ein Auge zutun, stattdessen mir die verschiedenen Situationen wieder und wieder aufrufen. Wie reagiere ich beim fiesen 6. und 7. Kilometer?
Langes Shirt, oder Tank?
Tights, oder Shorts?
Mp3-Player, um den „Flow“ der Konkurrenten zu simulieren, oder solo?
Morgen geht es los.
Was mich erwartet weiß ich nach knapp 9 Monaten Lauftraining, aber welche Zeit ich erreichen werde… kein Plan.
39min wären gesund theoretisch bereits möglich.
42-44 min sind aber leider wahrscheinlicher.
Alles unter 42min wäre in meiner derzeitigen Lage ein kleines Wunder.
So oder so:
Es wird auf jeden Fall eine sehr maßstabsgetreue Rennsimulation werden.


