„Wenn ich zu langsam bin, sag ruhig!“

Mit dem Sauerstoffzelt durchs Unterholz

Mai, 2010

Wie der geneigte Leser ja vielleicht schon aus der „Vorgeschichte des LTs“ erfahren hat, musste ich im ersten Drittel 2010 ein spezielles Aufbau-Training absolvieren, um meine Probleme mit dem Knie in den Griff zu bekommen.
Inhalt dieses Trainings waren hauptsächlich Läufe auf wechselnden Untergründen, regelmäßiges Dehnen und spezielle Kraftübungen für die laufunterstüzende Muskulatur, sowie Rückwärtslaufen, Seitschritt, Anfersen und dergleichen.
Das volle Programm also.
Ein glücklicher Umstand war, dass Wieselchen, eine sehr gute Freundin, zu der Zeit ebenfalls wieder mit dem Laufen anfing.
Zusammen drehten und unterhielten wir uns auf unzähligen Platzrunden am leverkusener Reuschenberg.

Und dann gab es da noch die eine Woche in der Wieselchen nicht mitlaufen konnte, mich aber stattdessen auf dem Fahrrad begleitete.
Ich höre noch ihren Kommentar auf meinen skeptischen Blick:
„Dann kannst du auch endlich mal wieder richtig schnell laufen, ich bin doch sonst immer viel zu langsam für dich!“

Auf der asphaltierten Straße in Richtung Reuschenberg war ich auch noch guter Dinge: Wieselchen erzählte, ich lauschte gebannt und warf ab und an einen Kommentar ein. Dann berichtete ich wieder ein wenig aus den letzten Tagen und so ging es hin und her.
So erreichten wir den Waldrand und mit ihm die ersten Steigungen.
Wenns richtig knackig bergauf geht, sind Läufer den Radfahrern überlegen. Erst recht wenn es sich um ein Damenrad mit Torpedo-3-Gang-Narbenschaltung und Kindersitz handelt.
Leider ist der Reuschenberg eher mehr ein Reuschenhügel.
Das heißt Wieselchen trat an den Anstiegen nur etwas kräftiger in die Pedale – und mir explodierten bei Temperaturen um die 20°C fast die Halsschlagadern.
Aber anmerken lassen wollte ich mir dann wiederrum auch nichts.
Man(n) hat schließlich einen Ruf als „Der Hochleistungssportler der Familie“ zu verlieren!
Denn genau als das sieht mich meine Sippschaft mittlerweile scheinbar an. Das mag in Relation zum Großtteil der Verwandtschaft zwar stimmen, absolut betrachtet bin ich aber eher Durchschnitt.

Unser Gespann hatte sich also mühsam auf die Hügelkuppe empor gekämpft. Eigentlich für Außenstehende ein beinahe kitschig, romantischer Anblick: Er trainiert und sie begleitet ihn auf dem Rad.
Wenn, ja wenn ich nicht schon Schweiß durchtränkt und mit hochrotem Kopf unterwegs wäre.
Tempo tötet!
Und was für einen Radfahrer ein mehr als gemütlicher Geschwindigkeitsschnitt ist, bedeutet für einen Neu-Läufer wie mich mitunter den sicheren Tod.
Dann kam die lange Gerade.
Ab hier fiel der Weg wieder leicht bergab.
Einen Kilometer lang.
Wieselchen ließ rollen.
Bergab sind Läufer so ziemlich jedem bereiften Konkurrenten unterlegen. Aber ich hielt mit!
Am Ende der Runde angekommen hatte nicht nur der Weg seinen Tiefpunkt erreicht.
Aber gut gelaunt und nichtmal ansatzweise transpiriert bog Wieselchen direkt zu einer weiteren Runde ein.
Es ging wieder bergauf.
Laktose hatte schon längst meine Beine bis zur Hüfte geflutet und weitestgehend unbrauchbar gemacht, der Puls dröhnte bis ans Schädeldach, meine Zunge klebte wie ein alter Lappen an meinem Gaumen – und neben mir radelte Wieselchen quietschfidel und bestgelaunt.
Aber was sollte ich tun? Aufstecken?
Schlauer wäre es wahrscheinlich.
Und gesünder erst recht.
Da traf mich ein Geistesblitz!
Die beste Idee seit Menschengedenken:
Seitschritte.
Die musste ich ohnehin regelmäßig ins Training einbauen.
So trippelte ich ungewöhnlich lange und auch langsam erst mit übergreifenden Schritten, dann im normalen Seitschritt und natürlich musste ich diese Übung ja auch spiegelverkehrt ausführen.
Das brachte mich beinahe den gesamten Anstieg hinauf.
Jetzt hieß es wieder Zähne aufeinander beißen, denn meinen großen Joker wollte ich erst zur Mitte der Bergabgeraden zücken.
Dort hieß es dann auch ganz unvermittelt:
Dehnpause!
Herrliche 10 Minuten lang bog und stretchte ich wie ein Weltmeister vor mich hin.
Danach war ich sogar wieder so gut bei Puste, dass ich recht gut mit Wieselchen auf ihrem Geschoss mithalten konnte.
Das musste ich auch, schließlich war es von großer Wichtigkeit am Ende der Geraden vor ihr zu sein und dann -wie selbstverständlich- nach rechts und somit in Richtung Heimat abzubiegen.

Es gelang mir, jedoch zu einem hohen Preis, denn Wieselchen hatte meine Sprintattacke völlig falsch gedeutet und als Konsequenz kam kurz darauf von ihr ein Satz herüber geweht, der mir das kochende Blut schlagartig in den pulsierenden Adern gefrieren ließ:
„Wenn ich zu langsam bin, sag ruhig!“

Zu… zu… zu langsam?!
Noch bevor ich auch nur irgendwas erwidern konnte zog sie das Tempo merklich an.
Das wars!
Das überlebe ich nicht.

Es klingelte. Es konnte nicht mein Handy sein, das diente an meinen Arm geschnallt als GPS-Empfänger.
Wieselchen kramte in ihrer Tasche und klamüserte ihr Handy hervor, machte aber keinerlei Anstalten anzuhalten.
Der Schweiß quoll mir aus allen Poren, die Waden brannten, mein Innerstes schrie nach einem kühlen Getränk und dennoch gelang es mir irgendwie, nach außen hin äußerst souverän und scheinbar widerwillig, ins Gehtempo zu wechseln.
Wieselchen stieg ab und ich bot ihr an das Rad so lange zu schieben.
Oh welch‘ Wohltat, diese herrliche Stütze. Ein Königreich für einen Drahtesel!
So legten wir beinahe den gesamten Heimweg zurück. Ich erholte mich dank Gehhilfe, zumindest äußerlich, recht schnell und die Sonne ließ meine Kleidung ebenfalls zügig trocknen.

Das war das bisher einzige Mal, dass ich mit einer Begleitperson auf dem Rad trainiert habe.

Euer Dummschwitzer

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