27. Internationaler Trierer Stadtlauf – Der Tag, der alles veränderte

Sonntag, 27.06.2010

6:59 Uhr.
Ich drückte den Alarm des Handy weg, bevor er auch nur die Chance hatte, für Radau zu sorgen.
Immerhin befand ich mich nicht im heimischen Bett, sondern auf dem Küchenboden meines sehr guten Freundes Matthias.
Geschlafen hatte ich vor lauter Aufregung so gut wie gar nicht.
Der Video- und Pizzaabend gestern hatte zudem meine eh schon angespannte Verdauung vollends überfordert.
Und so verabschiedete sich etappenweise über die gesamte Nacht verteilt mein mühsam angetrunkener Flüssigkeitsvorrat mitsamt Pizza recht effektvoll in die Kanalisation.
Ganz toll.
Langsam und appetitlos aß ich eine Banane, dazu ein wenig Müsli, aber trank möglichst viel Wasser.
Und wartete.
Die Sporttasche hatte ich bereits 2 Tage zuvor in Leverkusen gepackt.
Für mich gab es also nichts mehr sinnvolles zu tun.
Der Start würde erst um 10 Uhr sein, die Startnummer hatten mir Steffi, eine sehr gute Freundin, und ihr Vater Marco, die ebenfalls beide morgen teilnehmen würden, am Vorabend noch schnell vorbei gebracht.
Kurz nach 8 Uhr machte ich mich auf den Weg zum Start und schaute noch auf einen Sprung bei ebendieser Freundin vorbei.
Wir versuchten die Nervosität irgendwie zu verdrängen, gaben uns noch ein paar letzte, gut gemeinte Tipps, wünschten uns Glück und dann machte ich mich schonmal auf den Weg.

Nach einigen kreativen Schlenkern durch die trierer Innenstadt fand ich schließlich das ersehnte Parkhaus.
Eigentlich komme ich mittlerweile in Trier ganz gut zurecht, aber wer konnte auch ahnen, dass zu einem Straßenlauf etliche Straßen in der Nähe des Startes gesperrt sein würden?!

So wühlte ich mich sehr nervös und voller ungewisser Erwartung inmitten von allesamt viel sportlicher und souveräner wirkenden Mitstartern in Richtung Brotstraße, wo sich der Start befinden sollte.

Ob das Knie halten würde?
Wer die Geschichte des ‚Ur-Dummschwitzers‘ gelesen hat, weiß dass ich wenige Wochen zuvor eine mehrwöchige Zwangslaufpause aufgrund erheblicher Kniebeschwerden einlegen musste, gefolgt von einem langwierigen und belastenden Aufbautraining.
Damals befürchtete ich, dass es das Ende meiner sportlichen Aktivitäten sein könnte.
Aber jetzt, mit über einem Jahr Abstand betrachtet, war es das Beste was mir überhaupt passieren konnte.
Denn so lernte ich gerade noch rechtzeitig, dass richtiges Lauftraining eben nicht nur schnelles geradeaus Laufen umfasste, sondern ebenso langsamere Laufeinheiten auf wechselnden Untergründen, richtiges und konsequentes Dehnen, Rumpfmuskulatur-Aufbau, das sogenannte Lauf-ABC (also Lauf-Technik), das Einhalten der Regenerationsphasen und auch eine grundsätzliche Ernährungslehre.
Natürlich habe ich das nicht alles in 12 Wochen gelernt.
Und sogar jetzt (im Juni 2011) lerne ich noch stetig dazu.
Aber damals nahm alles seinen Anfang, eben durch diesen Orthopäden & Physiotherapeuten – und passionierten Läufer.

Meine Zielzeitvorgabe lag bei 45 Minuten.
Schneller (meine damalig TB war 44:22min) ‚erlaubte‘ der Arzt nicht – und langsamer wollte ich ich nicht.
Aber wie sollte ich da bitteschön steuern?
Ich hatte keine GPS-Uhr, keine Stoppuhr und meine analoge Armbanduhr besaß nichtmal einen Sekundenzeiger.
Also kam ich auf die glorreiche Idee meinen iPod zur Uhr umzuwandeln.
Damals lief ich ja tatsächlich noch jedes Training mit Musik.
Ich richtete mir eine spezielle Playlist ein und rechnete mir im Vorfeld aus an welcher Kilometer-Marke ich mich wo in der Playlist ‚befinden‘ sollte, um die Zielzeit möglichst genau zu halten.

Das Ergebnis dieses professionellen Timetrackings malte ich mir am Vorabend unter Matthias‘ amüsierten Blicken mit einem wasserfesten Stift in die Hand.
Das Ganze sah dann so aus:

Ins Hochdeutsche übersetzt steht dort soviel wie:

Km 1 - Zeit: 05:00min - Lied: Maneater (2. Strophe)
Km 2 - Zeit: 10:00min - Lied: Promicious Girl (2. Refrain)
Km 4 - Zeit: 19:00min - Lied: Burning Heart (Ende)
Km 5 - Zeit: 23:30min - Lied: Te Busque (Anfang)
Km 7 - Zeit: 32:00min - Lied: Burning Heart (Mittelteil)
Km 9 - Zeit: 40:00min - Lied: Wait for you (Ende)
Schlusskilometer -> Lied: Somebody to Love

Derart gewappnet reihte ich mich nach dem Warmlaufen in die Startaufstellung ein.
Vor uns starteten die rasanten Handbiker unter unserem frenetischen Applaus ihr Rennen, danach waren auch wir an der Reihe.
Laut hallte der Startschuss um Punkt 10 Uhr von den alten Häuserfassaden wider.
Zuerst trippelten wir noch auf der Stelle, dann langsam ging es voran.
Ein breiter Strom aus Menschen schob sich in immer schnelleren Tempo durch die trierer Altstadtgassen.
In zum Teil haarsträubend engen Abstand Cafés, Schaufenstern und sonstigen Einkaufspassagen-Inventar wie Mülleimern, Blumenkübeln und Laternen rannte ich mit einem Pulk recht schneller Läufer am Gros vorbei, bis wir schließlich von der Brotstraße über die Neustraße auf die Saarstraße gelangten und diese der gesamten Länge nach abliefen.
Das Ganze ging zeitweise leicht abschüssig vonstatten und daher erreichte ich die Markierung „Km 1“ schon zu Begin von „Maneater“ und nicht etwa bei der 2. Strophe.
Die Saarstraße ging schließlich in die Matthiasstraße über, kurz bevor wir nach rechts ab über die Aulstraße auf die Konrad-Adenauer-Brücke abbogen, an deren Anfang sich die Verpflegungsstation 1 befand.
Es gab Wasserbecher und nasse Schwämme.
Da sich die Temperaturen bereits deutlich jenseits der 20°C-Marke befanden, nahm ich dankbar einen Trinkbecher vom Tisch – und verschüttete nahezu alles auf den nächsten beiden Schritten.
Na ganz super.
Es ging, leicht ansteigend, über die Mosel und am Ende der Brücke wieder leicht abfallend unter der Luxemburger Strasse hindurch.
Ich fühlte mich richtig gut.
Klar war es knackewarm, aber da ich sehr sehr weit hinten gestartet war, überholte ich konstant andere Läufer, ohne selbst überholt zu werden und das obwohl ich mein Tempo arg reduzierte, um wieder in meinen Zeitplan zu kommen.
Nach der Unterführung stieg die Straße wieder an.
Die Sonne brannte auf unsere Körper und so langsam verstand ich warum Trier als längste Distanz ’nur‘ einen Halbmarathon anbot:
Die Luft glühte und es ging kein Wind.
Wir bogen rechts ab auf die Eurener Straße wo wir dann schließlich ungefähr auf Höhe der Römerbrücke den Verpflegungstand 2 erreichten.
Ich dicht vor mir lief ein junges Mädchen, sichtlich erschöpft, ungefähr 10 Meter weiter vor ihr ein Pärchen, ebenfalls schon nicht mehr ganz taufrisch.
Jeder von uns schnappte sich einen Becher. Diesmal schaffte ich es zwei kleine Schlucke zu trinken, bevor ich den Rest verkippte. Am Ende der Station erhaschte ich noch einen der nassen Schwämme und nahm ihn mit.
Die Läufer vor dem Pärchen entfernte sich immer weiter von mir und ‚meinem‘ Pulk und so langsam dämmerte es mir: Die halten mich nur auf.
Tatsächlich hatte ich für einen Moment so etwas wie… ‚Mitleid‘ wäre übertrieben. Aber ‚Hemmungen‘ waren es schon.
Die quälen sich hier durch die Hitze, sehen dass unser Pulk den Anschluss verliert und jetzt würde ich sie ebenfalls zurück lassen?
Das würde sie sicherlich noch mehr demotivieren.
Andererseits: Druff geschissen!
Wir hatten bereits die Hornstrasse erreicht, als ich mir den Schwamm im Mund ausdrückte, ihn fortwarf und das Mädchen sowie das Pärchen hinter mir liegen ließ.
Gerade noch rechtzeitig, um nicht selbst den Anschluss an die andere Gruppe zu verlieren.
Vor der Kaiser-Wilhelm-Brücke stieg die Straße abermals steil an.
Mein Vordermann nahm das Tempo etwas heraus, also überholte ich nun auch ihn.
Wenn man so weit hinten startet wie ich, gibt es keinen Mangel an ‚Vordermännern‘ und tatsächlich: Da war schon der Nächste.
Wir wechselten also wieder aufs rechte Moselufer, übersprangen mit großen Schritten einige Verkehrsinseln (zwecks Ideallinie), schossen in die Merianstrasse und bogen auf die Nordallee ein.
Hier erwartete uns Verpflegungsstation 3, die wir ebenfalls dankbar annahmen, ich in gewohnter Weise abermals mit Becher und ‚Schwamm-to-Go‘.
Auf Höhe der Porta Nigra drangen wilde Sambarythmen an unser Ohr. Hier befand sich ebenfalls die Spendenmatte, die mein Pulk durch ein Spalier jubelnder Menscen auch überschritt.
Generell muss ich sagen war fast jeder Meter (vielleicht mit Ausnahme der abgelegenen Eurener Strasse) von jubelnden Passanten gesäumt.
Was für eine grandiose Stimmung!
Über Christophstrasse und Balduinstrasse ging es sonnig und stetig ansteigend in Richtung Kaiserthermen.
Das Rennen war bereits im letzten Drittel und mein Vordermann legte ein paar Kohlen drauf.
Ich zog meinen letzten Joker, nahm mein Kopftuch ab und wickelte es mir um das Handgelenk.
Sofort spürte ich wie der Fahrtwind meinen glühenden Kopf dank 1.5mm Kurzhaarfrisur deutlich herabkühlte.
Der psychologische Effekt auf mich war noch enormer und so hielt ich mit.
Auf Höhe der Kaiserthermen ging es schließlich abermals durch eine Unterführung.
Das Hinab war ja noch ganz angenehm, auch wenn die aufragenden Betonwände nun zusätzlich auf uns hinabglühten.
Aber das Hinauf…
Zähne zusammenbeißen, Augen zu und durch!
Etwas Anderes half da nicht.
Nach einem kurzen Stück auf der Südallee bogen wir abermals auf die Neustrasse ein. Allerdings nun in entgegen gesetzer Richtung wie zu Beginn des Rennens.
Wir mobilisierten die letzten Reserven.
Mein Vordermann schien aber noch mehr in petto zu haben, als ich.
Ein Junge mit Warnweste rief uns zu:
„Nur noch 800m!“
„Und was ist, wenn der dich verarscht?“, schoss es mir durch den Kopf, „wenn du jetzt hier lossprintest – und dann ists doch noch länger?“.
Wir erreichten wieder die kopfsteingepflasterte Brotstrasse.
Irgendwo wurde bereits ein großer Grill angefeuert.
Aber die Luft stand auch hier so regungslos, dass ich kaum noch durch den schweren Kohlegestank atmen konnte.
Jetzt musste gleich das Ziel zu sehen sein.
Mein Vordermann gab noch mehr Gas.
Ich hielt mit so gut ich konnte, aber überholen würde ich ihn nicht mehr.
Als wir den Startbogen durchliefen, lief es mir kalt dne Rücken herunter:
Hier ist nicht das Ziel!
Ohje, stimmt ja: Das Ziel ist am Hauptmarkt, nahe der Porta.
Bis dahin sinds noch ein paar Meter.
Wir stoben weiter durch die Altstadt, getrieben von den hundertfachen Zurufen der vielen, vielen Pasanten.
Durch Flatterband und Metalgitter rannten wir schließlich dem Ziel entgegen und nach 44:47 Minuten beendete ich mein erstes 10km-Rennen auf dem 129. Platz, Klasse M30: Platz 16.

Eine junge Frau hängte mir eine Medallie um, ich war völlig verdutzt.
Dieser Moment, nein, nicht dieser Moment: Diese gesamten 44:47 Minuten waren so intensiv, so unbeschreiblich.
Soetwas kann man nicht in Worte fassen.

Nachdem ich mich irgendwann im Zielbereich wiederfand und dort 2 oder 3 Becher Zitronentee getrunken hatte, erspähte ich zufällig Marco mitsamt Frau und Freunden. Ich wühlte mich zu ihnen durch und zusammen feuerten wir Steffi auf ihren letzten Metern an.
Danach ging es erstmal ab unter die dringend nötige Dusche und später mit alle Mann ins nahe gelegenen ‚Coyote‘ zum ausführlichen Brunsh.
Natürlich schilderten wir drei Laufhelden ganz ausführlich unsere Läufe und ernteten anerkennende Blicke.
Ich erzählte auch noch von einem anderen Lauf, den noch niemand der Anwesenden kannte, und auch icht hatte nur durch Zufall in einer Zeitschrift darüber gelesen.
Dem „Fishermen Friends: Strongmen Run“.
Ob wir jemals so fit sein würden, um den zu bestehen?
Wenn, dann nur in vielen vielen Jahren…

Am Nachmittag schließlich schauten Matthias und ich zusammen das 4:1 (2:1) unserer Nationaljungs gegen England – und dann hieß es auch schon leider wieder „Auf, auf gen Heimat“.
Dort gab es dann noch eine kleine, mitternächtliche Privatfeier bei Feinkost „Mäcces“ mit einer XXL-Packung Chicken McNuggets, sowie 2 dicken Burger, Pommes, Cola (aber light!) und hintendrauf noch ein Schokoeis.
Schließlich musste das Kaloriendefizit wirksam bekämpft werden.
Oder so… irgendwie… halt.

In jener Nacht fasste ich den Entschluss in diesem Jahr auf jeden Fall noch weitere Wettkämpfe zu bestreiten.
Vielleicht sogar einen Triathlon.
Kraulschwimmen kann ich immerhin ganz gut und mit dem Rennrad bin ich quasi aufgewachsen.

…20 Tage später endeten meine Ambitionen in einem üblen Rennrad-Crash in Neuss und so blieb der Läufer Kasi ein Läufer

Aber man soll ja niemals ’nie‘ sagen.

Euer Dummschwitzer

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