Dienstag, 18. Oktober 2011
Dienstag ist der härteste Tag der Woche:
Fünf Trainingseinheiten in Folge habe ich dienstags bereits in den Knochen.
Aber zwischen mir und dem ersehnten Ruhetag liegt noch eine Einheit im Testosteron-Tempel. Offiziell nennen sie es „Fitness-Studio“ – Knochenmühle trifft es eher.
Als kleinen Vorgeschmack auf den paradiesischen Mittwoch gönne ich mir daher jeden Dienstag zwischen Arbeit und Training 25 herrliche Minuten auf der örtlichen Sonnenbank.
So natürlich auch heute:
Meine große Sporttasche lässig in der Rechten verließ ich das Haus und schlenderte der Sonne entgegen.
Auf der Hauptstrasse biegt, einige Meter vor mir, ein schlanker, langhaariger und offensichtlich wohlgeformt-weiblicher Schatten auf den Bürgersteig ein.
Im Sekundentakt wechselt ihr Aussehen zwischen bunt beleuchteten Schemen zur schwarzen Silouhette hin und her – Abhängig von den Schaufenstern, die sie gerade passiert.
Als sie die hellgelb erstrahlende Tür der Sonnenbank öffnet, erkenne ich für einen Augenblick Details.
Eine ausgesprochen hübsche Frau!
Wenig später betrete auch ich dieses lichtdurchflutete Etablissement.
Im Hintergrund entschwindet gerade jenes apparte Wesen in einer der Bräunungskabinen, ihr süßes Parfum schwebt aber noch im Kassensbereich.
Ein lieblicher Duft!
Hinter der Kasse steht wie gewohnt das Guido Cantz-Immitat in Garstufe „Well Done“ und lächelt mich freundlich an.
Nur schwer kann ich mich von dem Gedanken losreißen, dass sich gerade in der Kabine hinter dem Brathähnchen-Verkäufer eine Traumfrau entblättert.
Ich zücke meine gelbe Karzinom-Clubcard, suche mir auf dem Monitor meine Bank aus, für gewöhnlich die Nummer 3, oder 4: Modell „Premium S“ und stelle fest, dass momentan sehr wenig Betrieb herrscht.
Es sind nämlich gerade einmal zwei der 13 Bänke belegt.
…ratet mal welche.
Da hat dieses Weibsbild doch tatsächlich meine Sonnenbank belegt!
Ich glaub es hackt…
Missmutig wähle ich eine Alternative, Bank Nummer 11: „Medium X“.
Die ist einen Euro billiger und liegt verdächtig weit hinten im Laden.
Auf dem Weg dorthin säuselt mir Guido Cantz noch hinterher, dass heute leider die Waschmaschine defekt sei und die Handtücher deshalb leider bereits mittags ausgegangen seien, aber es gäbe ja ausreichend Papiertücher in allen Kabinen…
Eigentlich hatte ich zu diesem Zeitpunkt bereits nur noch wenig Lust aufs Sonnen.
Immaginäre Blitze schlagen aus meinen Augen und durchlöchern die Tür Nummer 4, meiner Nummer 4, als ich sie passiere.
Unglaublich, dass diese dahergelaufene 08/15-Chickse mir meine Bank vor der Nase weggeschnappt hat. Und überhaupt: So gut sah die auch gar nicht aus, wenn ich es mir recht überlege.
Wohlgeformt?
Ohne Jeans und Hochleistungs-BH bleiben von der Traumfigur wahrscheinlich eh nur ein Heck mit schwerem Hagelschaden, sowie die Hängenden Gärten der Semiramis übrig!
Und dann erst dieser Mief; ich rümpfe die Nase.
Ganz eindeutig Eu de Catin aus der Parfumerie Chandelle de Trottoir.
Scheinbar der letzte Schrei aus Montmartre.
Aber der Allerletzte…
Mit einer Hand fächere ich mir das Gebräu aus dem Gesicht und schreite weiter in die hinteren Katakomben des Sonnentempels.
Deutlich angenervt betrete ich Kabine Nummer 11.
Die Sonnenbank wirkt… ehrm… Ein Gebrauchtwagen-Verkäufer würde sie wahrscheinlich als „wahres Arbeitstier, nicht das Schönste auf dem Markt, aber solide, zuverlässig und bezahlbar!“ anpreisen.
Am Deckel blinkt ein rotes Mini-Display mit 2 Knopfreihen manisch auf mich ein.
„Hauttyp“ und „Bräunungsstufe“ lese ich daneben.
Ich ignoriere diese vorsintflutliche Einstellmöglichkeit und packe mich direkt auf den Bräter.
Kaum ist der Deckel unten, springen auch schon die Flutlichter an und ich betrachte in grellblauen Licht die Armaturen.
Musik-Kanal, Lautstärke, Körperlüfter, Gesichtlüfter, Gesichtbräuner, Voice Guide.
Alles klar, wunderbar: Hier kenne ich mich aus!
Die Dazugehörigen Bedienelemente bestehen halt nicht aus edlen Touch-Modulen, wie auf meiner gewohnten Bank, sondern aus dicken roten Plastikknöpfen, Marke „Quizbuzzer“.
„Ein solides Arbeitstier eben“, denke ich mir, als eine penetrante Frauenstimmer auf mich einplärrt:
„Sie haben keine Einstellung vorgenommen, deshalb wird Hauttyp 2 und normale Bräunung gewählt. Sie können diese Einstellung innerhalb der nächsten zwei Minuten noch ändern.“
Meine linke Hand bahnt sich kurzentschlossen ihren Weg nach außen und tastet blind auf dem kleinen Mini-Display herum.
Wieder quäkt das nervige Frauenzimmer los: „Intensive Bräunung wird eingestellt“, na prost Mahlzeit.
Die Bratröhren schalten merklich ein paar Stufen höher.
Vor meinen Augen glüht eine blaue Supernova auf.
„Sie können die Sprachgesteuerte Benutzerfüh…“
Gibt dieses Weibsbild denn nie ruhe?! Das ist ja schon peinlich!
Ich drücke die „Voice Guide-Taste“ und endlich herrscht Ruhe.
Jetzt noch schnell den Gesichtsbräuner etwas abschwächen.
„Sie können den Gesichtsbräuner erst regulieren, wenn die Strahler voller Leistung erreicht haben.“, schallt es mir entgegen.
Hab ich dir nicht eben den Mund verboten?
Nach einigen Minuten schalte ich die Gesichtsbräunerlesitung endlich von „Topfbrenner“ auf „Nachgaren / Fisch / Auftauen“.
Abermals lautstark quittiert von dieser nervigen Frauenstimme.
Die „Voice Guide“-Taste ist scheinbar nur Dekoration, denn das Frauenzimmer kommentiert auch weiterhin jede meiner Einstellungen lautstartk.
Weiber.
Den Körperbräuner kann man übrigens nicht einstellen und es kommt mir so vor, als ob er die eingesparte Gesichtsbräuner-Leistung dankend entgegen nimmt.
Der Körperlüfter, den ich als Abhilfe aktivert habe, bläßt unangenehm eisig und exklusiv auf meine Füße, sodass ich binnen fünf Minuten in meinem eigenen Saft gare und trotzdem das Gefühl habe zu erfrieren.
Auf diesem Alptraum der Solartechnik erlebt man 3 Klimazonen auf 187cm Länge!
Nicht selten nicke ich auf der Sonnebank ein, träume und schlummere sanft vor mich hin.
Auf diesem Ungetüm ist an schlafen jedoch nicht zu denken, das Plexiglas ächzt bedrohlich unter meinen 82kg.
Der Tod bräunt mit.
Nach 25 Minuten klappe ich den Deckel erleichtert wieder nach oben.
Meine Füße sind eiskalt, der Kopf glüht und alles dazwischen ist schweißgebadet.
Ein Handtuch wäre jetzt ganz praktisch gewesen…, aber hey, der Sinn des Sonnenbades war erfüllt:
Voller Vorfreude auf die Dusche nach dem Training machte ich mich auf den Weg ins Fitness-Studio.
Bis die Tage,
Euer Karsten


