Die Liga der außergewöhnlichen unterkühlten Gentlemen

23. Hagener Sparda-Bank Triathlon (+++ Regionalliga +++)

Etwas verloren stand ich, umringt von gut 70 viel durchtrainierteren, flotteren, ruhigeren, cooleren, … ja schlichtweg erfahreneren Triathleten, vor der 50m-Bahn im sehr kühlen und sehr verregneten Hagen.
Unsicher suchte ich die Blicke meiner drei Mannschaftskollegen, die an den anderen Bahnen standen.
Ob das wirklich so eine dolle Idee war?

Alles fing damit an, dass ich mal wieder „Hier! Hier! Ich!“ gerufen hatte, ohne über mögliche Konsequenzen nachgedacht zu haben.
Im vereinsinternen Pinboard gab es mittwochs einen Eintrag, dass es verletztungsbedingt ein Startplatz in der Regionalliga ganz kurzfristig für Freitag zu besetzen gäbe.
Freiwillige bitte vor, Erfahrung sei von Vorteil, aber nicht Voraussetzung, da jeder Finisher besser ist als ein ’nicht angetreten‘.
Noch im Auto schrieb ich eine Mail an den entsprechenden Liga-Verantwortlichen und … na ich habe nicht tief gestapelt!
Nur ganz wahrheitsgemäß den Erfahrungsschatz meiner bisherigen Triathlonkarriere umrissen, inkl aller meiner Finishzeiten, also allen beiden – und dem Zusatz „Zeitfahrrad und Neo sowie Einteiler / Zweiteiler vorhanden“.

Postwendend kam Antwort:
Hallo Karsten, finde ich super, dass du einspringen kannst! […] Du kannst dir auf jeden Fall deinen Start schon einplanen, die Frage ist nur noch in welcher Liga. […]

Ja… ähm, WOW! Klasse!?
Klar war für mich ‚damals‘ neben den (im Besten Sinne!) total verrückten Vereinsmitgliedern auch die Aussicht auf einen Verein mit ambitionierter Liga-Aktivität ein Grund für den ASV Köln gewesen und ich hatte mich auch mal vorsichtig als 2. Ersatzmann für die Mannschaften IV und V einteilen lassen.
Also quasi mit 1%iger Startwahrscheinlichkeit.
Aber jetzt sollte mein dritter Triathlon überhaupt bereits entweder für ASV Köln II oder III stattfinden. Beide Mannschaften würden in Hagen am kommenden Sonntag ihren Saisonauftakt haben.
Tags drauf fiel dann der Entschluss: ASV Köln II, Regionalliga.
„Wie geil ist das denn?!“, dachte ich bei mir selbst – und begann kurz darauf vor Panik zu hyperventilieren.

Ja, und jetzt stand ich also hier vor, bzw mittlerweile im, Schwimmbecken.
Meine erste Lektion war, dass in der Liga die Schwimmbahnen scheinbar nicht nach Schwimmleistung geordnet werden.
Gar nicht.
Nichtmal so’n bisschen.
Um mich herum sprachen sie die Kollegen ab und sortierten sich ein. 15min, 16min. Als jemand fragte „Noch jemand 17min?“ nickte ich erleichtert auf – bis mein Nebenmann hinzufügte, „und jemand 13:30min?“.
Zuerst wollten wir lachen, bis tatsächlich ein Zweiter die Hand hob: „Ja, hier!“
Ok, die beiden also vorweg.
Als der Startschuss fiel, war ich vorletzter in unserer Hackordnung geworden.
Nach 30m dann letzter.
Mühsam versuchte ich an den Füßen zu bleiben, aber da war nichts zu machen.
Als letzter meiner Bahn kam ich aus dem Wasser und huschte unter den Anfeuerungsrufen meiner Schwester sowie Franzi und Enno in die fast leere Wechselzone.
Wenigstens muss man als schlechter Schwimmer sein Rad nicht lange suchen. Man nimmt einfach eins von den 2 oder 3, die noch im Rack stehen.
Zwischenzeitlich hatte es wohl nochmal richtig geschüttet: Meine Radjacke war klamm, das Buff klatschnass, die Brille so voller Regentropfen, dass ich sie gleich wieder wegwarf. Wenigstens wusste ich meine Laufschuhe trocken im Wechselbeutel.
Elendig lange brauchte ich, bis ich die Radjacke angezogen und mit zitternden Fingern den Reißverschluss zugefriemelt hatte.
Startnummer um und ab mit dem Rad zur Linie.
Es ging über einen kleinen, verwinkelten Radweg zum Rundkurs.

Drei Runden auf einem dreieck-sternförmigen Wendepunktkurs. Zusammen 43km un circa 900 Höhenmeter bei 9°C, böhigem Wind und harschem Regen.
Die erste Runde wollte ich erstmal ’schauen‘ wie der Kurs so ist, also nicht zu viel riskieren und Lage checken.
Als ich auf Wendepunkt 1 zu rollte und mir zuerst Andreas 1 und Hannes und kurz darauf Andreas 2 entgegen kamen, war dieser Plan jedoch sofort hinfällig.
Zwei Ziele hatte ich.
Minimalziel: Nicht letzter im Feld werden.
Traumziel: Nicht letzter des Teams werden (obwohl ja leider immer einer Letzter sein muss).
Sofort erhöhte ich auf ‚Wettkampfgeschwindigkeit‘, der Fahrtwind schlug mir kalt ins Gesicht und ich sehnte WP 1 herbei.
Viel später als erhofft vollzog ich den Uturn und preschte, wie schon fast gewohnt fleißig überholend, meinen Kollegen hinterher.
Als ich erneut eine knifflige Engstelle passierte, fiel mir ein Ordner mit einer kleinen ProTouch-Flasche auf und für einen Moment dachte ich tatsächlich: „Hey! Der hat ja genau so eine Flasche da stehen, wie ich eine hinten am Sattel habe!“
… denkt’s euch einfach….
Wendepunkt 2 lag oben auf dem Berg.
In der Nähe irgendeiner Burg.
Im vierten Gang und etwas über 20km/h drückte ich Noho die Serpentienen hoch, während ich versuchte mich notdürftig zu verpflegen.
Leider hatte der Regen meine Powerbar am Oberrohr (die ich seit Aachen übrigens vorab in Fünftel portioniere) zu einer gallerteartigen Masse mutieren lassen.
Schmeckte irgendwie nach gewässerten Gummibärchen.
Ich aß trotzdem vier der fünf Happen über das Rennen verteilt.
Dann sausten mir wieder Hannes und Andreas 1 entgegen, die Gesichter konzentriert auf die Kurven gerichtet. Andreas 2 hatte ich mit dem Uturn am WP2 eingeholt.
Irgendwie machte er gar keinen so frischen Eindruck und natürlich versuchte ich ihm etwas aufmunterndes zuzurufen – bei Puls 190 kam da aber leider auch nicht mehr sehr viel raus.
Und so schoss ich auch schon mit knapp über 75km/h den Hang abwärts, wobei ich 1. feststellte, dass der Fahrtwind jetzt wie Nadeln auf meinen Körper zustach und 2. die Bremsbeläge mal ordentlich nass und flitschig waren. Gerade als ich blitzartig überlegte, ob es besser sei ohne Rad über die Leitplanke zu springen, oder mitsamt Rad unten einzuschlagen, griffen die Beläge und ich konnte die erste Kurve doch irgendwie meistern.
Ok, also mehr als 60km/h sollte man hier nicht riskieren!
Der Rest der Schussfahrt war dann eigentlich Genuss pur – wenn der Fahrtwind nicht allen Muskeln und Körperpartien nahezu alle Kraft entzogen hätte.
Es ging weiter über eine großräumig befützte Straße zu Wendepunkt 3, wobei jede Pfütze generell wieder eiskaltes Wasser von der Straße in die Schuhe warf und sofort die Füße betäubte.
Ich erreichte WP3 an welchem später auch der Ausstieg zur Wechselzone sein würde.
Später.
Erstmal ging es weiter auf dem Rundkurs.
Wie von Sinnen preschte ich weiter durch die Kälte. Später tauchte vor mir ein knalloranges Rennrad auf: Das kann eigentlich nur Franzi sein, auf der Schussfahrt bergab kam sie mir dann später entgegen. Ein kurzer erhobener Daumen von mir, ein Nicken und Lächeln von ihr – und schon meldete mein Garmin bereits wieder 70km/h und ich bereitete den kontrollierten Absturz durch die Serpentienen vor.
Mittlerweile hatte ich auch keine Hemmungen mehr vor Kälte und Schmerzen bei der Abfahrt halblaut zu winseln und einmal auch zu schreien.
Ich bin ja weißgott kein Weichei, immerhin wurde mir schon die Mundhöhle unbetäubt genäht, aber ganz ehrlich: Das hier toppte bisher nahezu alles!
Vor allem weil man ja -theoretisch- die Wahl hat. Paar km/h langsamer und es tut gar nicht sooo weh.
Aber paar km/h langsamer ist nunmal kein Wettkampftempo!
Den letzten Teil der vierten Runde fuhr ich dann tatsächlich auf dem kleinen Blatt vorne, weil ich schlichtweg keine Kraft mehr in der Hand hatte, um den Umwerfer zu bedienen. Irgendwann kam ich auf die Idee beide Hände zu benutzen und es klappte irgendwie.
Das war mir natürlich eine Lehre und so begann ich rechtzeitig auf dem Zubringer der Wechselzone meine Schuhe zu öffnen und die Füße heraus zu friemeln.
‚Leider‘ gelang mir das tatsächlich beim ersten Versuch, sodass ich knapp 800m barfuss durch die Kälte fuhr und nun auch das letzte Bisschen Wärme und Kraft in meinen Füßen verlor.
Als ich knapp vor der Linie vom Rad sprang, dachte ich ich falle ins Leere: Die Beine waren so taub, dass ich das Gefühl hatte ich schwebe.
Ein Kampfrichter nickte mir aufmunternd zu und so torkelte ich, halb auf dem Rad gestützt, auf die klatschnasse und vermatschte Wiese.
Schwesterherz warnte mich zum Glück rechtzeitig, dass Hannes hier bereits einen lupenreinen Stunt hingelegt hatte und auch mich hats fast auf den Bobbes gepackt.
Nachdem das Rad im Rack hing, warf ich den Helm in den Beutel, nahm die Uhr aus dem (endlich per Post gekommenen) Schnellverschluss am Vorbau und klickte sie an das passende Gegenstück an meinem Handgelenk.
Jetzt noch schnell in die herrlich trockenen Laufschuhe, Startnummer umdrehen und loslaufen.
Haha, guter Witz!
Wie auf Eiern torkelte ich über die Wiese, hielt mein Handgelenk vor die Zeitnahme und watschelte weiter auf den Laufkurs.
Vier Runden à 2,5km.
Ohne Füße.
Mein Puls, meine Atmung, beides total außer Kontrolle tippelte ich in Minischritten dem Wendepunkt entgegen. Irgendwann kam Hannes in Sicht und preschte an mir vorbei. Mein Gott, wie schnell ist der denn unterwegs?!
Nach gut 3km tauten endlich meine Füße wieder auf und begann auch zum Glück mich wieder auf das Rennen zu konzentrieren.
Es zählen Platzierungen!
Am Ende werden die Plätze der 4 Teammitglieder addiert. Zeiten sind also (fast) egal, die Platzierung zählt mehr.
Fortan war jeder mit einer knallgelben Regionalliga-Startnummer mein Erzfeind.
Einen oder zwei musste ich ziehen lassen, aber einige konnte ich auch erfolgreich abwehren.
Wann immer ich Hannes oder Andreas 1 sah, feuerten sie mich an, ich versuchte dann möglichst zuversichtlich auszusehen.
Aber in Wirklichkeit war ich genau „on the edge“ wie man im englischsprachigen Raum sagt: Auf Messers Schneide.
Hinter mir schnaufte jemand, wie ich sehen konnte mit gelber Nummer, und setzte zum Angriff an.
So nicht!
Nicht mit mir!
Als er genau neben mir war, zog ich mit.
Immer haargenau so viel, dass er gerade nicht an mir vorbei kam.
So eierten wir ein letztes Mal auf den Wendepunkt zu, um uns das 4. Gummibändchen abzuholen.
Die Eintrittskarte ins Paradies: Den Zielbereich.
Zwei Mann verteilten diese Bändchen. Ich steuerte natürlich auf den Ersten zu. Falls ich es verfehlen sollte, konnte ich beim Zweiten noch einen Versuch starten.
Mein Gegner wollte ebenfalls beim ersten Mann sein Band abholen – sein Pech…
Was genau geschah, habe ich gar nicht mitbekommen, aber als ich hörte wie der Zweite Gummibandmann ihm zurief ‚Warte, du kannst das Band auch bei mir holen!‘, zündete ich direkt den Turbo!
Scheinbar hatte er Probleme mit den Bändern und jeder Meter, den ich jetzt zwischen uns bringen konnte, würde ihn mehr und mehr demotivieren.
Abermals mit Puls am Anschlag rannte ich so schnell es in meiner Verfassung noch irgendwie ging dem Ziel entgegen, sag Andreas 2 und rief ihm noch etwas wie „Lauf Andy, zeigs ihnen!“ zu und bog ab in Richtung Ziel. Dort nahm ich gerade noch wahr, dass beim Zieleinlauf der Checkpunkt mein Armband nicht erfasst hatte und warf mich nochmal mit dem Handgelenk vor die markierte Fläche, drehte mich um und purzelte an Hannes‘ Armen vorbei völlig kraftlos auf den Rasen.
Hannes drückte mir einen herrlich warmen Becher mit Zitronentee in die Hand und gratulierte mir überschwenglich. Andreas 1 und ein Teil unserer Verbandsligamannschaft ebenfalls.
Schwesterchen rief mir irgendwas von wegen „Platz 17! Platz 17!“ zu. Danach weiß ich nur noch, dass ich Andreas 2 meinerseits einen warmen Becher Tee reichte, als er wenig später ins Ziel einlief.
Dieses Rennen hatte mir wirklich alles abverlangt!

Zum Lohn für all die Mühen und Strapazen erreichten wir zusammen als ASV Köln II den 3. Tagesplatz und konnten somit 15 Punkte auf unser Konto verbuchen.
Ach, und meine Bestzeit über die Kurzdistanz konnte ich doch tatsächlich auch im 1 Sekunde auf 2:19:46h drücken ;)

Bleibt mir nur noch mich wirklich von ganzem Herzen bei meinen drei tollen Mannschaftskollegen, allen anwesenden ASVlern sowie natürlich der weltbesten Schwester und vor allem auch bei allen Helfern, Streckenposten und auch Wettkampfrichtern zu bedanken, die unter diesen wirklich widrigen Wetterumständen diesen Wettkampf erst ermöglicht haben. Danke!

Euer Karsten

Der Wettkampf in Zahlen:

Regionalliga, Hagen (1,0 / 43 / 10)

Team ASV Köln II: Platz 3/18

Hannes: 2:14:51, Platz 9
Andreas: 2:17:53, Platz 14
Andreas: 2:23:02, Platz 27

Kasi: 2:19:46, Platz: 18
S: 0:18:11h (54,6sek/50m)
T: in "B"
B: 1:21:19h (31,58km/h)
T: in "B"
R: 0:40:16h (4:02min/km)

Dieser Beitrag wurde unter ASV Köln Triathlon, Ligawettkampf, Rennberichte, Triathlon veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.