Das Phantom des Sportparks

Dienstag, 18. Januar 2011

Oh Boy!
…wie man sich doch täuschen kann!

Wie ihr…
oder sollte ich „du“ sagen, Matthias? Ich glaub wir sind hier unter uns!
… also wie „ihr“ ja noch sicherlich wisst, hatte der Dummschwitzer letzten Dienstag seine Intervall-Premiere.
Und was hat er danach gejammert…

Heute, bzw gestern, war das anders: Ich freute mich auf die Intervalle.
Schon den ganzen Tag über.
Denn: es waren diesmal nur 400m-Intervalle!
6 Stück zwar, aber das sind ja zusammen nichtmal 2.5km!
Zuzüglich warmlaufen, austraben, Dehnen und Duschen scheint der Dienstag die kürzeste Trainingseinheit der jeweiligen Woche zu werden!
Daran könnte ich mich gewöhnen.
Das Wetter spielte auch mit: 8°C, kaum erwähnenswerter Nieselregen.
Passend zum Tempo die Kleidung: Schuhe, Shorts, Shirt, Uhr.
Zur Sicherheit, da es bei meinem Abflug um 18Uhr schon dunkel war, noch das gelbe Blinkarmband.
Mehr braucht es nicht, um einen intervall-Läufer glücklich zu machen!
Sonnenbrille, Mp3-Player, der Gürtel mit Trinkflasche und Kamerafach… all das bleibt dienstags zu Hause.
Da könnte ich ja auch gleich noch nen Rucksack anziehen und eine Tigerente hinter mir her ziehen!
Ach ja, den Pulsgurt noch ungeschnallt. Schließlich wollte ich ja schauen wie belastend diese Intervalle denn wirklich sind.

Wieviel km/h sind eigentlich 400m in 80 Sekunden?
Ambitionierte Läufer sind in dieser Hinsicht nämlich vergleichbar mit Schwangeren.
So wie Schwangere scheinbar die Fähigkeit verlieren in Monaten und Quartalen zu rechnen…
-bei einer Sache, die im Schnitt 9 Monate dauert eigentlich ne töffte Sache!-
… und jegliche Zeitangaben nur noch und ausschließlich in Wochen von sich geben,
(„Wir sind ja schon in der 27. Woche Schwanger!“ *kotz*)
so verliert der Läufer mit der Zeit die Fähigkeit die Einheit „Kilometer pro Stunde“ sinnvoll zu gebrauchen.
Unsere „Wochen“ heißen „Minuten pro Kilometer“. Das machts halt leichter auf Renndistanzen und -Zeiten hochzurechnen.
Was weiß denn ich was 400m in 80sek in min/km oder gar km/h sind?!
So schnell wirds wohl schon nicht sein…

Mit schadenfrohem Grinsen trottete ich, vorbei an den Autos im Feierabendverkehr, quer durch Leverkusen und erreichte ausreichend aufgewärmt die östlichen Ausläufer des Sportparks.
Die Uhr hatte ich schon von 1000er auf 400m-Runden umgestellt und statt der letzten Pace zeigte sie nun auch die letzte Rundenzeit an.
Der Plan war simpel. Alle 400m gibt das Ding nun ein helles Piepsen von sich. Für Start- bzw. Stopp-Signal, je nachdem.
Es waren ziemlich viele Jogger, Walker und vereinzelt auch Läufer unterwegs.
Man grüßte sich stumm und taxierte heimlich die Ausrüstung des Gegenüber.
Denn: Ausrüstung ist gleichbedeutend mit Geschwindigkeit!
Das stimmt zwar kein Stück – aber man bildet sich das trotzdem ein!
Das erste Piepsen ereilte mich, und vielmehr auch eine Gruppe Nordic Walker vor mir, ungefähr auf Höhe des Restaurants „Chinesische Mauer“.
Wie von der Tarantel gestochen stob ich nach vorne. 2, 3, 4 feste Antritte und ich erreichte meine gefühlte „Sollgeschwindigkeit“ – die Walker kopfschüttlend weit hinter mir lassend schoß ich in ungeahntem und bisher unerlebtem Tempo gen Westen.
400m in höchstens 80 Sekunden
Bei so einem (für uns Hobby-Langstreckler mörderischen) Tempo denkt man nicht mehr viel.
Man läuft nur noch.
Nach wenigen Schritten schon erreicht der Puls das Maximum.
Nach 30 Sekunden bereits ist jeder Schritt eine Qual.
Die Lungen bersten, die Beine brennen, Die Arme fliegen weit vor und zurück – und dieser dreimal verfluchte Pulsgurt drückt dermaßen unangenehm auf den Brustkorb!
Das Einzige, was diesen vom Kurs abgekommenen Kometen jetzt noch zusammen hält ist:
Der Kopf.
Es hat noch nicht gepiepst!
Um Himmels Willen, wie lange dauert das noch?
Das sind doch schon Minuten, die ich hier laufe!
Wieder 10, 15 Meter weiter:
Habe ich das Piepsen etwa überhört?
Ein zaghafter Blick auf die Uhr.
Gar nicht so leicht, der rechte Arm schwingt für ein, zwei Schritte nicht im Takt mit, bringt mich aus dem Rythmus.
Aber es bringt mir auch Gewissheit.
80 Meter noch!
Meine Beine fühlen sich an wie Gummi.
Der Kopf will nicht mehr, dass sie so schnell laufen.
Es piepst.
Als wäre ich vor eine unsichtbare Wand gedonnert, nämlich binnen zweier Alibi-Auslaufschritte, bleibt der kümmerliche Rest, der vom großen Dummschwitzer noch übrig ist beinahe auf der Stelle stehen.
Aber:
Ich trabe noch. Ich stehe nicht!
…auch wenn es für Außenstehende eher so aussehen mag, als ob ich nur die Beine anhebe und die Welt dreht sich einfach darunter hinweg…

Die Zeit: 71 Sekunden
Okay… Vorgabe eingehalten!
Mit Mühe zwar, aber nun habe ich 400 wohltuende, unendlich lange Meter mich davon zu erholen und dann ist der nächste Intervall nur noch halb so wild…
Den Blick auf den Puls spare ich mir: Nach 100 Metern schon war ich bei maxHF angekommen, evtl hab ich diesen Messwert auch jenseits meiner bisherigen 193 geschoben.

Um es kurz zu machen.
Der zweite Intervall verlief ähnlich. Die Zeit betrug 85 Sekunden, aber (und das ist keine plumpe Ausrede!) ich musste zweimal um 90° nach rechts abbiegen, da die ersten 200 Meter über die U-Turn-Brücke am CaLEVornia-Spaßbad führten!
Nach dem dritten Intervall begann ich langsam eine kleine Ahnung davon zu erlangen, was Carl Lewis (100m in 9.xx Sek-Sprinter) bei seinem Rücktritt meinte, als er sagte:
„Mein Körper kann durchaus noch zwei Jahre auf Weltniveau mitlaufen, aber mein Kopf steht keine weiteren 10 Sekunden mehr durch.“
Der vierte Intervall war der Schlimmste: Gerade die Hälfte rum.
Alles was hier und heute mit mir geschehen ist….
Noch… ein… mal… !
Aber schon fast trotzig und wie von alleine schossen meine Beine auf Piepskommando der GPS-Uhr vorran.
Mittlerweile hatte ich auch soetwas wie ein Gefühl für die 400m entwickelt.
Den ersten Intervall bin ich viel zu schnell angegangen und bereits nach 275 Metern abgekackt und auf dem Zahnfleisch geschwommen.
Im Schnitt kommts aber aufs Gleiche raus ein wenig langsamer zu starten aber dafür die ganzen 400m konstant das Tempo zu halten.
Und so endete dieser vierte Intervall abermals in schwerer Sauerstoffschuld und wild keuchend.
Nach 82 Sekunden immerhin.
Und dann kam er.
Der fünfte Intervall.
Er wird mir und einer älteren Radfahrerin wohl noch lange in Erinnerung bleiben.
Ich trottete gerade auf den 400 Entspannungsmetern Richtung Eisenbahnbrücke auf dem linken Dhünnufer, als ich durch die Böschung auf dem Radweg, parallel zu den Gleisen, ein Fahrrad „ins Bild fahren sah“.
Es würde in einiger Entfernung vor mir, von links nach rechts, über die Eisenbahnbrücke fahren und…
Die Uhr piepste.
Wie ein dressierter Hund und ohne auch nur den Hauch eines Gedanken an irgendwas zu verschwenden, hechtete ich vorran.
Rationelles Denken ist bei Läufern -gerade den Sprintern wie ich jetzt weiß- kaum verbreitet.
Das Fahrrad passierte zwar tatsächlich noch vor mir die Brücke, aber ich kam keine Zehn Meter dahinter wie ein dunkler, laut keuchender Schatten aus dem unbeleuchteten Waldweg geflogen!
Die Radfahrerin bog direkt hinter der Brücke rechts ab in Richtung BayArena – blieb also genau auf meiner Route.
Ich hechtete in weitem Bogen hinterher.
Das ältere Mütterchen sortierte sich auf dem Radweg spontan ganz links ein und gab Gas.
Junge, junge, die hat auf ihre alten Tage aber noch ganz schön Schmackes in den Waden!
Für den Dummschwitzer kein Grund Müdigkeit vorzuschützen:
Da bleib ich natürlich dran!
Mein Atem ging mit jedem Schritt lauter, die Schuhe schmetterten abwechselnd durch Pfützen und dann wieder auf harten Asphalt.
So überholten wir zuerst einen jungen Radfahrer, danach ein Moped – und sprengten beinahe die Nordic-Walker von Intervall Eins auseinander.
Nach 68 Sekunden beendete die GPS-Uhr meinen Intervall und vermutlich auch die Todesängste der armen Frau…
…weiviel km/h sind eigentlich 400m in 68sek?

Sei’s drum:
Ich sollte aufpassen, dass ich mich nicht zu sehr auf dieses Gepiepse konditioniere! Oder wenigstens ein wenig nachdenken, bevor ich derart losrenne.
Klickertraining für Läufer ist eben nicht so prall: Da muss ich nur mal an einer roten Ampel stehen und irgendwer hat nen komischen SMS-Klingelton…

Bleibt noch zu erwähnen, dass ich auch den letzten Intervall mit Anstand und Würde in 82 Sekunden hinter mich gebracht habe und auf dem Rückweg sogar wieder im entspannten 5:00min/km-Tempo lief.

So happy wie an diesem Dienstag kehrte ich selten nach Hause zurück.
6 mal 400m Intervall – wer es nicht selbst erlebt hat, wird es nicht verstehen..

Euer Dummschwitzer

Nachtrag:
400m : 68s = 5,882m/s * 3,6 = 21,176 km/h
Jetzt bin ich doch etwas deprimiert…

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