Der Nachtschatten – Duell auf dem Drahtseil

Donnerstag, Tempolauftag.
Die 400er Intervalle noch dick in den Knochen wälzte sich der Dummschwitzer von der Couch.
7000m bei nem gemütlichen 4:45er Schnitt (also 4:45min pro km), da hat der Tag Struktur und niemand wird mich für nen Pistenrambo halten.

Glückselig trottete ich mich also warm, lief ein paar kleine Steigerungen und begann den Tempolauf. Vorsichtig horchte ich in meine Gelenke, denn ich habe in den vergangenen Tagen mein „laufbegleitendes Training“ sträflich vernachlässigt.
Vor allem auf meinen Schwachpunkt, das linke Knie, achtete ich besonders genau. Hatten mich der vergangene Dienstag doch Muskeln spüren lassen, die ich noch nie bemerkt hatte.
Eein 4:45er Schnitt ist (jedenfalls auf 7km) eigentlich kein Problem für mich. Aber mit sone Waden sah das schon etwas anders aus.
So war ich auch ganz froh, dass mir sämtliche Walker, Jogger und Läufer entgegen kamen und nicht in meine Richtung liefen.
Justus, Peter und Bob begleiteten mich diesmal auf meinen Törn.
Vier Runden später hatten sie das Geheimnis um den tanzenden Dinosaurier gelöst und der Dummschwitzer die Einheit beendet.

Hmm, biege ich direkt ab in Richtung Busbahnhof, laufe ich noch weiter zur „Chinesischen Mauer“, oder all the way down über den Neulandpark zurück?
Mauer!
Man muss et ja nicht übertreiben, mit die jungen Waden.
…da bemerkte ich auf dem gegenüberliegenden Dhünnufer einen weiteren Läufer.
Er war schneller als ich.
Ach was. Der läuft auch auf der Innenseite der Flusskurve!
Gute 40m hinter ihm, scherte ich ein, ebenfalls in Richtung Unterführung „Chinesische Mauer“.
Schnell wurde mir klar: Er ist schneller als ich.
Schwarzes Trikot, schwarze Tights, dunkle Schuhe.
Ein leibhaftiger Schatten. Der Nachtschatten
Ich sammelte meine letzten Kraftreserven.
Des Dummschwitzers Ehre!
Um nichts geringeres ging es hier nämlich jetzt.
Auf dieser Strecke wurde ich noch nie überholt.
Erst recht nicht abgehängt.
Schon gar nicht versägt, versenkt oder wie wir Läufer das noch so nennen.
Aber nichts anderes geschieht hier gerade!
Gut, er war von vorn herein vor mir; hat mich also nicht überholt.
Trotzdem lief er mir jetzt davon!
Am Ende des Tages kommts auf gleiche heraus:
Nachtschatten: 1, Dummschwitzer: 0.
Aber nicht mit mir! Nicht mit dem Comm… Dummschwitzer!
Mühsam schloss ich auf und verringerte den Abstand langsam auf gute vier, fünf Meter.
Der Garmin rebellierte: Die Pace zu klein, der Puls zu hoch.
Das ist auch ein gutes Training: Wettkampftraining!
Im Augenblick bin ich der klar unterlegene Läufer, aber das weiß der Nachtschatten da vorne nicht!
Und wenn ich es richtig anstellte, würde er es auch nicht merken.
Taktisch laufen, lautet die Devise. Psychologisch laufen.
Laut laufen und leise schnaufen!
Er soll hören, dass ich da bin.
Meine Schritte sollen ihn hetzen.
Aber er darf nicht meinen rasselnden Atem hören.
So flitzen wir an der Mauer vorbei auf den noch spärlicher beleuchteten Teil des Dhünndammes.
Meine Güte!
Was für einen leichten, eleganten Stil der Nachtschatten an den Tag legt.
Er federte vorweg, ich krüppelte hinterher.
Aber: Ich hielt mit!
Und mehr noch.
…nein, ich hab ihn nicht überholt – wir wollen doch realistisch bleiben!
Aber er drehte sich kurz zu mir um.
Jaha!
JETZT bist du reif!
Fühlst du es?
Spürst du meinen Atem in deinem Nacken?
So fühlt sich das an, wenn man nieder gerungen wird.
Körperlich bist du überlegen. Aber ich knacke deinen Kopf, breche deinen Willen.
Und dann versäge ich dich!
Wir bogen auf ein völlig unbeleuchtetes Teilstück ein und prompt machte der Nachtschatten ein, zwei unsichere Schritte.
So weit habe ich ihn also schon…
Der Garmin piepste und wie aus Gewohnheit kontrollierte ich die Pace: 3:57min/km.
Von links drang gedämpft ein „Hieeerrr heerrrr, Vooorrrsiichht!“ an mein Ohr.
Ich blickte auf:
Rechts nahm ich schemenhaft einen Hund wahr.
Links huschte die heisere Stimme in Form einer kleinen Frau ins Bild.
Dazwischen baumelte kaum sichtbar eine…

L E I N E

Ich machte einen Satz auf dem „Nichtsprungbein“ über das Tier, blieb entlos lange in der Luft hängen, das Sprungbein schoss vor, machte einen imaginären Schritt im Nichts, schnellte wieder nach hinten, ohne auch nur irgendwas verrichtet zu haben und berührte dann doch noch den Asphalt.
Mein ganzer Körper sackte in sich zusammen, um möglichst viel Energie aus den Beinen abzuleiten, während das Knie langsam einknickte fing ich mich mit dem anderen Bein und der Rechten Hand ab, schnellte hoch und stand.
Das Ganze wirkte ziemlich souverän und sicher, nur mein Garmin piepste Weltuntergang.
Der Hund schaute mich doof an, die Frau hechelte „Entschuldigung“ und klaubte die Leine vom Boden.
Ne oder?!
Die Leine lag auf dem Boden, ich hätte einfach weiterlaufen können!
Aber nun wusste ich, warum der Nachtschatten ebenfalls strauchelte.
Ich schaute auf und sah gerade noch einen Schemen im diffusen Licht verschwinden.
Das war es also:
Ein erstes beschnuppern der Giganten.
Kurzes Geplänkel unter Rivalen.
Luke Skywalker und Darth Vader
Peter Pan und Captain Hook
Harry Potter und „Ihr wisst schon wer“
Igel und Hase
Nun also auch Dummschwitzer und Nachtschatten…

Geknickt, aber noch lange nicht besiegt, versenkte ich auf dem Rückweg ein ganzes Rudel Rot-Schwarzer Trainingsanzüge auf Regenerationslauf.

Hoffentlich begegnen wir uns wieder, werter Nachtschatten.
Nächste Woche Dienstag habe ich „nur“ 1000er Intervall.
Da hätte ich donnerstags jedenfalls mehr als nur läppsche 3:40min/km zu bieten.

En Garde!

Euer Dummschwitzer

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