Inuit goes Intervall, oder: „Wie bitte gehts zum Nordpol?“

Dienstag, 1. Februar 2011

Wir schreiben das Jahr MMXI.
Wie der Hunnensturm dereinst, ist über Nacht der Winter über Deutschland hereingebrochen.
In Leverkusen herrscht, dank Inversion, Industrieschneefall auf den Straßen und Wegen.
Die Temperaturen sind deutlich unter den Nullpunkt gefallen und der Wind pfeift bissig aus südwest.
Wer sein Tagwerk vollbracht hat, sieht also tunlichst zu, dass er -oder sie- nach Hause ins Warme kommt.
So auch ich!
Zu Hause angekommen, betrat ich jedoch erstmal meinen begehbaren Trainingskleiderschrank (formerly known as Wohnzimmer) und suchte meine Klamotten zusammen.
Dar Plan für heute lautete:
8 mal 400m Intervalle in je 1:40min.
Ja hey, super. Pro Intervall 20 Sekunden mehr, als bei den letzten 400ern und zum Ausgleich „nur“ 2 schnelle Einheiten draufgepackt.
Klarer Fall: Bankirrtum zu meinen Gunsten!
Also die Tights vom Wäscheständer gefischt und die Windstopper von der Hantelbank geklaubt.
Schuhe drüber, fertig!
Mehr braucht es eben nicht, um einen Wettkampfläufer glücklich zu machen!
Der Blick zur Wetterstation verriet: -4°C
Der Blick auf die Bäume vervollständigte: und Wind.
Das aber… eher nicht… so arg warm… eher… kalt!
Okok, also zusätzlich über die Tights die lange Capoeira und über die Windstopper noch die Jacke.
Und diesmal bloß nicht das Kopftuch vergessen!
Garmin angelegt, Blinkarmband umgeschnallt.
So betrachtete ich mich im Spiegel.
Hmm… das jetzt aber schon bissel viel – für die schnellste Einheit der Woche, oder meinste nicht?
Mal schauen, vielleicht kommen ja draußen gerade die Herren Peary und Henson auf dem Weg zum Nordpol vorbei?
Dann könnt ich mich jetzt anschließen. Einfach zunicken und wortkarg, wie wir Helden der Eiswüsten nunmal sind, erklären: „Ich lauf nur ein Stückchen mit.“
Die hatten ja damals auch noch vier Inuits dabei:
Uutaaq, Eghingwah, Sigloo und Ooqueah.
…wie genau kommt man eigentlich auf solche Namen?!

Aber genug der langen Reden, in 90 Minuten bin ich schließlich mit Wieselchen verabredet. Nach McCafé und Starbucks wollen wir diesmal eine neue Chocolaterie gleich ums Eck testen.

So lief ich mich also warm.
Ging ja eigentlich von den Temperaturen her.
Aber irgendwie.
Der Kopf wird aber nicht so warm, wie ich es gerne hätte und die Hände…
…die Hände!
Ohje, ich hatte die Handschuhe vergessen.
Ich Idiot!
Sonntag hatte ich das Kopftuch vergessen und mich jetzt so sehr darauf konzentriert, dass ich diesmal die Handschuhe vergaß.
Nur haben wir es jetzt nicht +4°C, sondern -4°C!
Umkehren?
Unmöglich!
Dann würde ich Wieselchen hoffnungslos versetzen, oder aber niemals 8 Intervalle schaffen…
Und warum frierts mich an der Rübe?
Ich habe doch das Kopftuch an.
Das hält mich im Sommer doch auch erfrischend kühl!
Warum wärmt es mich denn dann im Winter nicht?
Klappt bei der Thermoskanne doch auch?!

Aus diesen, vermutlich gehirnfrostbedingten, stumpfsinnigen Gedanken riss mich das bekannte Piepsen.
Der erste Intervall!
Etwas verhalten trat ich an, 400m, 1:40min.
Das ist jetzt erstmal kein Hexenwerk.
400m und 1:30min später fühlte ich mich zwar bestätigt, den Rest von mir, mit Ausnahme der stechenden Lungen, aber eigentlich gar nicht mehr.
Die Augen tränten im eiskalten Wind. Vermutlich waren die Tropfen durch den Fahrtwind zu horizontalen Eiszapfen erstarrt.
Huiuiuiui, Intervalle bei Minusgraden.
Ein ganz neues Körpergefühl stellt sich da auf den 200m Erholungsmetern ein:
Langsam kehrt das Blut, Molekül für Molekül, auch in Körperregionen zurück, die nichts mit Atmen, Pumpen oder Beinen zu tun haben.
So zum Beispiel, Arme, Hände, Kopf, Testikel und Anhang.
Finger, Ohren und Nase wären auch gerne mit dem herrlich warmen Lebenselixir durchflutet worden – jedoch der Garmin piepste und der Dummschwitzer gehorchte!
Abermals tränten die Augen, die Eiszapfen an meinem Schläfen waren sicherlich schon viele Zentimeter lang und wuchsen beständig weiter.
So ging es Intervall um Intervall bis ich schließlich beim Sechsten angelangte
Der Schnellste war bisher eine 1:29, der Langsamste eine 1:33.
Ich hatte auch eine neue Taktik ausklamüsert.
Der „fliegende Start“, völlig revolutionierend!
Ich startete schon 20m vor dem eigentlichen Intervall und sparte so zum Einen die „Schrecksekunde“ und darüber hinaus die „Beschleunigungsphase“.
Tja, ich bin halt ein Fuchs!
Die Temperaturen waren mittlerweile noch weiter spürbar gefallen. Jedenfalls nach meinem Empfinden.
Das waren doch jetzt schon mindestens -15°C.
Mindestens.
Ungelogen!
Das muss am Nordkurs liegen – zweifellos!
Wäre ich doch mal lieber weiter nach Süden, der Sonne entgegen, gelaufen.
Gut da liegt Leverkusen-Schlebusch… aber hey: Man kann ja nicht alles haben!
So begann ich den vorletzten Intervall.
Ich zwang meinen, bis in die letzte Faser rebellierenden Körper zu einer neuen Tagesbestzeit: 1:25min
Was?
Das war doch jetzt nicht wirklich nur 5 Sekunden schneller, als der erste „Ich schau mal gemütlich wie et fluppt“-Intervall?
5 mickrige Sekündchen?
Dafür hatte ich mich wieder 400m nach Norden, dem eisigen Pol entgegen, gehetzt?
Wobei…
Die Temperaturen hier…
Das sind mindestens -175°C
Ich kam mir auch schon längst nicht mehr vor wie ein Inuit am Nordpol, eher wie Neil Armstrong auf dem Mond – Aber in Bermudashorts!
Meine Nasenschleimhäute hatten schon vor drei Intervallen aufgegeben die Atemluft anzuwärmen und waren stattdessen spontan vereist.
Die Ohren, Finger und Nasenspitze waren stocksteif gefroren und die Lungenbläschen glichen wahrscheinlich raureif überzognenen, roten Christbaumkugeln.

Ach was, druff geschissen. Der Körper ist jetzt eh ruiniert.
Da kann ich auch mit Anstand, Würde und neuer Tagesbestzeit abtreten.
Immerhin bin ich der erste Mensch auf dem Mond!

Kasi beschleunigte, Garmin piepste, Kasi gab Vollgas:
Yeah, das fetzt!
Das wird was!
Von mir und meinem Willen selbst überrascht schoß ich wie Usin Bolt über den Damm gen Norden.
Wow, wow, wow!
Das müssen doch jetzt schon bald 400m sein. Geil geil geil.
Irgendwo entfernt klirrte etwas.
Wahrscheinlich ist ein Finger abgebrochen, oder der unglaubliche Fahrtwind hat mir ein Ohr abgerissen. Egal, solange keine der beiden Lungen zerbrochen ist: Die brauche ich noch für einige, wenige Meter.
Vor mir tauchten drei blinkende Läufer auf, die mit entgegen kamen.
Ziemlich schnell sogar.
Das lag jetzt aber weniger daran, dass die so schnell waren. Ok, vielleicht finden die ja mein Ohr, oder den Finger…
Ich halte nämlich jetzt garantiert nicht wegen so einer Lapalie an!
Dann, plötzlich gaben meine Beine nach.
Fast knickte ich ein.
Merklich wurde ich langsamer.
Das gibts doch nicht. Nicht jetzt!
Nach dem Intervall kann mich von mir aus der Schlag treffen, aber doch nicht 100 Meter davor?!
Ich quälte mich, befahl meine Beinen: Weiter, Marsch, Marsch!
Aber die Beine begannen zu meutern.
Housten, we have a problem!
Von Apollo 11 zu Apollo 13 in weniger als 400 Metern.
Jetzt bloß nicht schlapp machen, Tempo halten, Durchhalten.
Duuuuurrrrcchhhhhhhaaallltttteeeeennnnn!
Ich passierte die Dreiergruppe, sie nickten mir zu, hoben jeder die Hand zum Gruße.
Laut keuchend, völlig am Ende des körperlich machbaren japste ich noch immer sehr schnell und natürlich ohne Gruß vorbei.
Tschiiiiuuhhhh Miep! Miep!
Wenige Sekunden später sah ich das Garmindisplay durch den Jackenärmel aufleuchten.
Geschafft!
Wahnsinn, ich lebe noch!
Kurz drehte ich mich um und rief den Läufern ein lautes
„Hey sorry, aber das war ein Intervall!“ hinterher.
Klang ungefähr wie „Haisdawinvaa“ und war so leise, das hörte nichtmal ich richtig.
…Aber jetzt weiß ich wenigstens wie die Inuits auf ihre Namen kommen!

Bleibt zum Schluss noch zu erwähnen, dass dieser letzte Intervall, bei dem ich alles gegeben hatte, trotz des verheerenden Leistungseinbruches auf den letzten 150 Metern, der Schnellste des Abends war.
Um genau 3 Sekunden nämlich… (1:22min)

Aber all die Schinderei wurde mehr als entlohnt durch den wirklich sehr, sehr schönen Abend mit Wieselchen in der Lifestyle-Chocolaterie „Chocofini“ !
Lounchige Atmosphäre, verschiedene Kaffeesorten, Cappuchini, Espressi, Trinkschokolade am Stiel in verschiedensten Aromen. Dazu beste Pralinen, ausgesuchte Schokoladen, selbstgebackener Kuchen, Cappuchino-Torte… und tatsächlich vieles, vieles mehr.
Wir waren uns schon nach wenigen Augenblicken einig:
Vergiss McCafé, Starbucks und wie sie alle heißen.
Chocofini, hierher kommen wir gerne wieder!

In diesem Sinne,

Euer Dummschwitzer!

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