Psychologische Kriegsführung

Donnerstag, 10. Februar 2011

Ich höre mich noch selbst auf die Frage eines Kollegen nach dem heutigen Trainingspensum antworten:
„Ach das ist easy going. Tempolauf. 6km á 4:50min. Da leg ich sogar entspannt ne Schippe bei, damits 4:40er werden. Läuft!“

… 2 Stunden später auf dem unbeleuchteten Mühlenbachdamm…

Lautes, asthmatisches Keuchen schreckt in der Ferne ein paar Vögel auf, ein Passant flüchtet sich mitsamt Hund freiwillig in den Grünstreifen.
Auftritt: Der Dummschwitzer!
Als wäre der Leibhaftige hinter mir her hechte ich, in mittlerweile unansehnlichen Laufstil, über die kleine Asphaltspur des Dammes.
Verzweifelt klaubt mein Körper die letzten Glykolreserven aus der Blutbahn, quetscht jedes Körnchen Kohlehydrat aus den längst brachliegenden Energiespeichern.
Laktat hat meine Beine schon lange bis zum Anschlag geflutet, das Gesicht glänzt wahrscheinlich hochrot. Fingerdicke Blutgefäße quellen an Körperstellen hervor, wo man sie unter normalen Bedingungen niemals vermuten würde.
Immer weiter fliege ich den beiden dunklen Schatten am Wegesrand entgegen.
Der Hund des Mannes hat sich klammheimlich mit einem „Ähm, mach du das mal“-Blick hinter sein Herrchen verkrümelt. Dieser nestelt an seiner Jacker herum.
Entweder sucht er sein Portemonaie… oder das Pefferspray.
Mit großen Augen und offenem Mund blickt er mir entgegen.
Keine Ahnung womit dieser Mann gerechnet hat – mit dem Folgenden jedoch sicherlich nicht:
Unter dem rechten Jackenärmel, ungefähr auf Höhe des Handgelenkes, leuchtet ein helles Stoffquadrat auf. Auf der Stelle bleibe ich stehen, atme zwei, dreimal tief durch, blicke mit einem dicken Grinsen kurz auf das leuchtende Display, drehe in „normalem“ Lauftempo um und verschwinde lautlos wieder in der Dunkelheit.
Hund und Herrchen beachtete ich überhaupt nicht.

20 Minuten und 3 Sekunden zuvor:

Dummschwitzer, der Bongart, hat auf den 3 Warmlaufkilometern angefangen zu denken.
Nicht gut.
Gar nicht gut.
Ich hatte mir überlegt:
„Hey, das ist Tempolauf! …4:40min/km, das ist… das ist… einfach zu langsam. Lauf halt mal was schneller. Sind doch nur 6km und danach kannste gepflegt über die Wupper gehen.“
Und nebenbei verpasse ich meiner angestaubten 5km-Bestzeit noch einen gewaltigen Tritt in den Hintern. (Da wusste ich noch nicht, dass ich zwei Tage zuvor beim Intervall-Lauf bereits ‚aus Versehen‘ eine neue TBZ aufgestellt hatte)
Der Entschluss stand also fest!
Okay, es ist jetzt eher doof, dass ich nicht nur die lange Hose an habe, sondern auch noch die ’schweren‘ GT-2150, die Windstopper nebst Stirnlampe und Armblinklicht, darüber wegen des Regens die Laufjacke und in der Tasche neben Schlüssel und Taschentücher auch noch nen Mp3-Player.
Aber daran kann ich jetzt auch nichts mehr ändern.

So zockelte ich auf dem ersten, schnellen Kilometer vorbei an der Bürgerhalle, was schonmal der erste Fehler war.
Denn ich war auf der „heißen“ Runde, musste aber noch über den vielbefahrenen Zubringer der A1 und A59.
Rückblickend betrachtet war das allerdings schon der zweite Fehler. Der erste Fehler war, dass ich überhaupt die lange Rheinroute und nicht 2 1/2 Runden auf der AVUS gewählt habe.
Denn unter der Autobahnbrücke A1 wehte mir ein kleiner Vorgeschmack dessen entgegen, was mich auf den nächsten Kilometern erwartete:
Gegenwind.
In den Rheinauen ging es eigentlich noch.
Aber am Wupperufer war dann Schluss mit lustig.
In vielen Kinderbüchern wird der Wind oftmals als dickes, pausbackiges Wolkengesicht dargestellt, dass den Menschen mit gespitzten Lippen und leicht zugekniffenen Augen freundlich den Wind entgegen bläst.
Das ist natürlich völliger Schwachsinn!
In Wirklichkeit hat der Wind nämlich unter seinem dicken, aufgedunsenen Mondgesicht auch noch einen massiven, unförmigen Körper mit zwei wurstigen Schwabbelarmen, mit denen er sich, einem unsichtbaren Güterzuge gleich, unbedarften Läufern auf Bestzeitenjagd entgegen stemmt.
So schauts nämlich aus.
Das ist die ungeschminkte Wahrheit über den sauberen Herrn Wind.
Und Mundgeruch hat er auch.
Obwohl, das mag an der Kläranlage in Bürrig liegen.
Die letzte Hälfte meiner 5000m-Sprinteinheit war jedenfalls die Hölle auf Erden.
Fast kam es mir vor, als würde ich mich im 45° Winkel vornübergebeugt den Böhen entgegen werfen – und trotzdem auf der Stelle treten.
Ach was, auf der Stelle… Meine Schuhe radierten förmlich auf dem Asphalt und ich rutschte in Wahrheit sogar noch rückwärts!
Ungelogen!
So viel Kraft habe ich noch nie so wirkungslos in meine Beine gesteckt.
Noch dazu war das Teilstück auf dem ich mich jetzt befand kerzengerade!
Das grenzt ja schon an Psychoterror. Au weia.
Mein Ziel für heute war eigentlich eine 19er Zeit.
Und wenn es eine 19:59 ist, egal!
Das änderte sich auf diesem Abschnitt radikal: Ich wollte bloß noch, dass es aufhört.
Das ist wiederrum das brutale am Laufen.
Es kann ja jederzeit aufhören. Einfach stehen bleiben und alle Qual ist vorbei.
Ein Formel-1-Pilot dagegen kann jetzt nicht einfach mal so rechts ranfahren und sagen: Lecken, ich mag nimmer!
Ich quälte mich weiter, Richtung Gegenwind.
Unaufhörlich und unerbittlich.
Von so einem adipösen Wolkengesicht lasse ich mich jedenfalls nicht fertig machen.
Ich nicht!
Die Zeiten wurden immer bescheidener, Kilometer 4 war schon keine 3er-Zeit mehr.
Der Wind legte noch einen drauf. Ich hielt weiter dagegen an.
Wenns im Rennen mal ungemütlichen Gegenwind gibt, kann ich schließlich auch nicht rum memmen.
Und immer daran denken: Gegenwind im Training ist wie Rückenwind im Rennen!
Welcher Idiot hatte das nochmal gesagt?
…Muss wohl ich gewesen sein. An einem der leicht-windigen Tagen, als ich mich noch freute wie gut ich Gegenhalten kann.
Ich unterquerte mit Puls im unteren 90%-Bereich die rheindorfer Brücke und hechtete die Treppe hinauf.
Man ey, daran hatte ich ja auch nicht gedacht: Das kost unnötig Kraft.
Hätte ich mal lieber 2 1/2 Runden auf der AVUS gedreht…
Hätte, Hätte, liegt im Bette, wah?
Aber bald ist es vorbei. Nur noch etwas über 600 Meter, aber wenn der Wind nicht just in diesem Moment „zufällig“ ebenfalls die Richtung änderte, hätte ich von nun an Seitenwind!
Wieder musste ich eine Straße überqueren.
Von vorn dröhnte ein Wupsi-Bus auf die Kreuzung zu, von hinten 5 PKW.
Na ganz super, da werde ich mich jetzt aber nicht „durchmogeln“, das gibt ne 1a-Straßenpizza…
Also statt rechts über die Straße auf den Seitenwind-Damm nach links auf den Mühlenbachdamm.
Unbeleuchtet.
Ungeschützt.
Gegenwind.
Der Rest ist ja bereits bekannt.

Bleibt die Erkenntnis, dass man sich trotz 19er Zielzeit auch tatsächlich auch über einer 20:03 wahrhaftig freuen kann. Auch wenn dieses ver§)$(% drei, in Worten: D R E I, Sekunden… *aufreg*


Km --- Pace --------- Zeit
01 --- 4:05min/km --- 04:05min
02 --- 3:50min/km --- 07:54min
03 --- 3:56min/km --- 11:50min
04 --- 4:03min/km --- 15:53min
05 --- 4:10min/km --- 20:03min (Neue 5km TBZ!)
06 --- 5:06min/km --- 25:09min
07 --- 5:05min/km --- 30:14min
08 --- 4:33min/km --- 34:47min
08,9 - 4:48min/km --- 39:17min

Ich werde in meinen Laufkalender dann wohl doch noch einen 5km-Lauf zwischen schieben. Mal schauen was es da so in der Nähe im Angebot gibt, als kleine Generalprobe für einen der größeren Läufe wäre das erstens nicht schlecht und zum Anderen ist dann bei den offiziellen Zeiten dieser elende 22min-Eintrag verschwunden.
Es sei denn es herrscht Gegenwind… aber das habe ich ja jetzt auch traininert!

In diesem Sinne,
Euer Dummschwitzer!

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