…ins eiskalte Wasser! – „Trockentriathlon 70.3“

Samstag, 25. Februar 2012

Projekt XX: StrongmanRun 2012

Tag: 143 / 84. Trainingstag: "Trockentriathlon"
Wetter: 12°C, bewölkt. Perfektes Rennwetter

Nach einer überraschend ruhigen Nacht purzelte ich kurz nach 10 Uhr aus dem Bett.
Eigentlich viel später als geplant… aber egal, ein Zeitziel habe ich mir heute nicht gesetzt.

Denn heute werde ich meinen ersten Triathlon bestreiten!
Naja, fast.
Ich habe mich nicht für einen echten Wettkampf angemeldet, ich habe ja noch nichtmal ein eigenes Bike.
Die Idee kam mir gestern auf der Arbeit.
In Steinwurf-Weite vom Fitness-Studio entfernt befindet sich unser Spaßbad.
Und im Studio selbst stehen Spinning-Bikes und Ergometer, auf der Außenanlage befindet sich eine 400m-Bahn.
Herz, was willst du mehr?!

Die Wechselzeiten werden natürlich utopisch hoch sein!
Beim ersten Wechsel muss ich mich im öffentlichen Schwimmbad komplett abtrocken, in zivil umziehen, bezahlen, zum Parkplatz rennen und am Auto die Sporttaschen wechseln und dann fast 1000m zum Studio rennen, dort einchecken und die Spinning-Klamotten anziehen.
Beim zweiten Wechsel kann ich zwar „vor Ort“ bleiben, muss aber trotzdem das Bike schrubben. Normalerweise reicht es ja mit Desinfekt und nem Papiertuch Lenker und Sattel kurz abzuwischen, aber ich würde heute etwas gründlicher putzen, denn nach meinen 90km kann ich niemanden zumuten sich in diesen Siff zu hocken.
Danach runter zum Spind, Klamotten wechseln, Laufgesöff greifen und ab zu Bahn und dort erstmal meine Verpflegungs-Station aufbauen.

Die „Spielregeln“ lauten daher wie folgt:
Für jeden Wechsel bekomme ich max. 15 Minuten „Freizeit“, wenn ich diese Zeit überschreite, läuft die Uhr wieder an.
Wenn ich die Zeit nicht ausnutze, bekomme ich den Rest der Viertelstunde jedoch nicht gutgeschrieben.
Trotzdem wird durch die örtlichen Gegebenheiten meine Gesamtzeit sehr verfälscht werden, dessen bin ich mir bewusst.
Aber heute geht es auch erstmal wirklich nur um das Ankommen. Die Zeit ist tatsächlich nur zweitrankig, schon alleine weil ich nächste Woche Sonntag das erste 10km-Rennen der Saison ansteht!
Alleine deshalb würde ich mich heute nicht komplett verausgaben dürfen!

Nach meinem Frühstück bestehend aus einem Eiweiß-Shake und 2 Scheiben Honigbrot mit Käse fuhr ich ins Schwimmbad.
Meine Aufregung wuchs ins Unermessliche…

Am Becken angekommen stellte ich fest, dass die Schnellschwimmerbahn komplett leer war.
Ich spuckte in die Brille, legte sie mir extra eng an, schaltete meine Armbanduhr in den Stopwatch-Mode.
Ein Blick auf die Wanduhr.

11:50 Uhr. Ich drückte Start.

Eine Bahn ist 25m lang, 4 Bahnen ergeben 100m. 19hundert Meter liegen vor mir. Das ergibt 38 „Doppelbahnen“, also 38 mal muss ich wieder am Startblock abschlagen.
Dadurch lassen sich Verzähler vermeiden.
Relativ unangestrengt, aber auch relativ langsam schwimme ich daher.
In meinem Kopf geistern viele Gedanken herum.
Bin ich zu schnell? Oder kann ich mir ein höheres Tempo erlauben? Hier ist niemand, kein „Vergleich“, kein Tempomacher.
Ich beende die erste Doppelbahn, und fortan gibt es für mich nur einen Gedanken: „Eins, Eins, Eins… Eine Doppelbahn hast du schon, Eins, Eins, Eins,“
Nach etwas unter einer Minute erreiche ich abermal den Block. In meinem Kopf rattert der Zähler hoch: „Zwei, Zwei, Zwei…“

Jetzt gerät es mir zum Vorteil, dass ich der einzige Schwimmer auf der Bahn bin: Ich muss nicht Ausschau halten, ob ich jemanden einhole, oder mir jemand entgegen kommt (obwohl ich ich mich aus Gewohnheit immer rechts in der Bahn halte). Den Kopf lasse ich ganz locker und entspannt waagerecht im Wasser. Unter mir gleiten die Fliesen hinweg. Das „Schwarze T“ kündigt das Beckenende 5m vorher an.
„Drei, Drei, Drei…“
Mein Kopf besteht nur noch aus dieser Zahl.
In den wenigen Augenblicken, die er zum Einatmen seitlich aus dem Wasser dreht, nehme ich zwar Eindrücke auf, aber richtig wahrnehmen oder gar ernsthaft abspeichern kann ich sie nicht.
Zu wichtig ist dieser eine Gedanke, die Zahl in meinem Kopf! „Vier, Vier, Vier… Wende… Fünf, Fünf, Fünf…“ Verzählen würde die Endzeit erheblich, nämlich um fast eine Minute verfälschen.
Die ersten 10 Doppelbahnen beendete ich in genau 10 Minuten. Punkt 12 – High Noon.
Ok, die Arme sind fit, die Beine werden nur mäßig eingesetzt. Legen wir ne Schippe drauf.

Schier endlos lange gleite ich dahin. Keinerlei Eindrücke von außerhalb erreichen mich mehr. Alles ist so monoton. Ich sehe nur die Fliesen und meine regelmäßig vorbeihuschenden Hände.
Möglichst keine Blasenspur ziehen; jede Luftblase zeugt von Energieverschwendung!

Als ich bei „Einunddreißig“ angekommen bin, jagen drei Halbstarke in meine Bahn. Zwei mit Shorts… Einer mit normaler Schwimmhose.
Sie kommen mir entgegen, werfen eine Blasenspur hinter sich her, als haben sie eine Monatspackung Brausetabletten in den Hosen verstaut.
Das ist kein schlechter Schwimmstil – Das ist gar kein Schwimmstil.
Die Beine machen den Froschschlag vom Brustschwimmen, die Arme wedeln wild umher, entfernt ans Kraulen erinnernd und der Kopf hängt hochrot über Wasser, wird aber, der Form halber, wild von links nach rechts und zurück geworfen.
Innerlich verdrehe ich die Augen… das lief bisher irgendwie auch einfach zu gut.
Naja, aus Erfahrung weiß ich ja, dass solche „Schnellschwimmer“ in der Regel nur eine Bahn durchhalten – Wenn überhaupt.
Und tatsächlich. Die beiden Shorts-Schwimmer schaffen ihre schnelle Bahn in fast 35 Sekunden, versuchen sich an einer Wende und verlassen dann doch die Bahn unter der Schwimmkette hindurch.
Der Dritte mit der normalen Badehose jedoch bleibt. Kurz bevor ich ihn überholen muss, verlässt aber auch er die Bahn spurlos.
„Dreiunddreißig, Dreiunddreißig…“
Bald habe ich es, bald, bald, bald. Jetzt nochmal eine Schippe drauf!

Nach 33:31min schlage ich am Sprungbock ab: „Achtunddreißig!“

Sofort stoppe ich die Stopuhr und schalte auf den normalen Modus: 12:23 Uhr.
Jetzt läuft die Wechselzeit. 15 Minuten habe ich frei.

Barfuß husche ich an der Dusche vorbei zum Spind, trockne mich ab, kralle meine kleine Tüte und verschwinde in der Kabine.
Wahrscheinlich hat noch nie jemand so ergiebig in einer Schwimmbadumkleide geflucht, wie ich heute!
Mir läuft die Zeit davon… ich feuere die Badehose, Brille und das Handtuch in einen Gefriebeutel, rein in die Klamotten und ab zu Kasse!
Der Weg zum Auto, welches vorm Studio steht, kommt mir so lang wie noch nie vor.
Gerade als ich dort meine Sporttasche greife und mich auf mache, laufen die 15 Minuten ab.
Verdammt. Verdammt. Verdammt.
Mit 13 Strafminuten auf dem Konto starte ich das Bike.
In der Hektik hatte ich den Mp3-Player im Spind vergessen und musste nochmal zurück.

Vorgenommen hatte ich mir 90km bei 200 Watt.
Aber bereits nach einer Minute schaltete ich auf 220 Watt hoch. 200 kam mir vor wie im Leerlauf!
An Verpflegung hatte ich dabei: 3 Liter Raketentreibstoff XXL und je 3 Eiweiß- und Energie-Riegel.
Die Beine fühlen sich überraschend fit an. Der Drehzahlmesser steht fast wie festgenagelt bei 110 RpM.
Nach 3km löste sich der erste Schweißtropfen von meinem Kinn und platschte auf das Handtuch, welches ich über den Lenker gelegt hatte.
Viele, sehr viele weiter würden folgen.
Der Kilometerzähler huscht recht flott vorwärts. Schon bald zeigt er 4,50 an: 5% der Strecke habe ich schon!
Wow, das geht sich tatsächlich gut an.
Bereits nach 9km, also 10% der Gesamtstrecke, gebe ich aber diese Rechnerei schon wieder auf.
Ich gebe mich ganz dem Rythmus meiner Rennrad-Playlist hin.
2006 hatte ich diese erstellt und seitdem bei jedem Ausritt auf meinem Bike dabei gehabt.
Aber irgendwie gefällt sie mir jetzt nicht mehr.
Diese Lieder habe ich zum letzten Mal am Morgen jenes 17.7.2010 gehört.
Eine der letzten Erinnerungen bevor ich im Krankenwagen wieder zu mir kam.
Benommen, blutverschmiert und zur Sicherheit in eine Vakuum-Matraze verschnürt, um eine Querschnittslähmung zu verhindern.
Ich wechsle die Playlist auf „KCM 2k10-01“.
„Kasi’s Crosstrain Mix Nr.1 2010“.
Oh man, was ist das lange her! Lena trällert ihren „Satellite“, zu dieser Playlist habe ich damals mein Wettkampf-Lauftraining begonnen.
Jetzt also Triathlon.
Das passt!
Abwechselnd von den Riegeln abbeißend und einen Schluck Saft trinkend strampel ich mich durch die erste Stunde.
Dann bricht das Gerät ab. Mehr als 60 Minuten am Stück gibt das Ding leider nicht her.
Sofort resette ich und überspringe damit die „Cooldown-Phase“, tippe wieder 220 Watt ein und notiere auf einem kleinen Zettel die zurückgelegte Distanz:
34,87km.
Knapp unter 35 km/h also.
Kein wirklich erhebender Schnitt, aber man kann auch das leider nicht 1zu1 aufs Rennrad übertragen.
Munter radel ich weiter.
Den Blick leider immer mehr nach unten auf die Beine gerichtet. Nicht weil ich Angst habe, sie könnten mich verlassen: Es ist von der Haltung einfach bequemer, wenn man den Kopf nicht ständig hochhalten muss. Allerdings sollte ich mir das besser gar nicht erst angewöhnen. Wenn man mit einem echten Bike unterwegs ist, braucht man neben voller Beinkraft nämlich auch volle Konzentration – zu jeder Zeit!

Andreas kommt vorbei und wir unterhalten uns eine Weile.
Durch diese willkommene Ablenkung geht zwar meine Drehzahl etwas runter, aber immerhin vergeht so auch eine Viertelstunde ohne Gedanken an die Anstrengung.
Obwohl meine Antworten recht kurzsilbig bzw. sehr abgehackt klingen.

Dann ist die erste Flasche leer.
Ich überschlage: Erst 1/3 der Distanz und schon 1/2 der Verpflegung… das KANN nicht gut gehen!

„Ach, ich verdammter Idiot!“

Man, man, man! Was für ein Deppenfehler!
Auf dem Rennrad habe ich zum Teil bis zu 3 Pullen dabei gehabt: 2 im Rahmen, 1 Hinter dem Sattel
Das waren zwar nur jeweils kleine 0,75 Liter Teile, also alles in allem 2,25 Liter… aber wie konnte ich denken, dass ich heute mit 2 mal 0,65 Litern, insgesamt nur 1,3 Litern, im geschlossenen Raum, also ohne kühlenden Fahrtwind, auskomme!?
Ganz ruhig bleiben, nicht hektisch werden.
650ml sind sind ja noch da.

Auf das Ergometer neben mir setzt sich ein zerbrechlich wirkender, älterer Herr.
Ihn selbst nehme ich zuerst gar nicht wahr, aber sein Shirt hat eine gewaltige Anziehungskraft auf mich!
„Ironman Finisher – 3,8 Swim – 180 Bike – 42,2 Run“

Na also!
Wenn dieses „Persönchen“ einen ganzen Ironman schafft, dann werde ich doch hier und jetzt und heute einen Halben zustande bringen!

Weiter radeln, einfach weiter radeln!
Der alte Mann neben mir ist mein Mutmacher. Was der kann, kann ich schon lang!
Nach 6km steigt er vom Ergometer und grüßt mich freundlich.
Ich grüße kurz zurück und sage: „Schönes Shirt!“
„Ach das? Das hat mir ein Freund geschenkt. So einen Triathlon würde ich ja niemals durchstehen!“

Da verschwindet auch der letzte Rest von Zweckoptimismus spurlos in mir.
Langsam geht die Drehzahl zurück. Von 115 auf 105.
Mein Mund wird immer trockener.
Ich muss trinken, in Gedanken höre ich Andreas Raelerts Stimme:
„Wenn du erst einmal dehydrierst, dann kommst du nie wieder ins Rennen zurück!“
Ich muss trinken, noch einen Schluck.
Dann ist auch die zweite Flasche halb leer.
Was jetzt?
Über mir kreiste bedrohlich das DNF, der Albtraum jedes Rennsportlers.
Did Not Finish – Hat das Ziel nicht erreicht.
Sollte ich auf die Kurzdistanz runter wechslen?
Schwer möglich.
Da wird nur 42km geradelt und ich habe schon fast 50 beisammen. Das verfälscht den kompletten Tag… ach und geschwommen wäre ich dann auch erheblich zu viel.
Also was dann?
Langsamer fahren und so mit 300ml die restlichen knapp 40km abspulen?
Netter Gedanke, aber unrealistisch.
Ich egal wie lange ich noch fahre, ich brauche Flüssigkeit. JETZT!
Das ist eine echte Krise.
Was mache ich hier eigentlich?
So wie die Restmenge in meiner letzten Flasche schwand, nahm auch meine Motivation mehr und mehr ab.
Hatte ich tatsächlich geglaubt, ich könne hier einfach mal so eben nen Halb-Ironman vom Hocker reißen?!
Spontan am Freitag auf der Arbeit beschlossen und aus der hohlen Hand für den nächsten Vormittag beschlossen.
Man, das ist… das ist so vermessen und unwürdig gegenüber dieser Distanz.
Dann war die Flasche leer.
Meine Beine hielten inne.

Nach 1:35h und insgesamt 55 von 90km stieg ich erschöpft vom Rad…

…und rannte mit gefühllosen Beinen wie auf Eierschalen in die Umkleide wo ich neben meiner übervollen Sporttasche auch noch den gesamten Getränke-Vorrat in den Spind gequetscht hatte.
Die Zeit ließ ich weiter laufen. In einem realen Rennen stoppt auch niemand die Uhr, nur weil ein Teinehmer schiffen muss oder dergleichen.
1/3 Johannisbeer-Saft in die Pulle, dann auf 1/2 mit Bananen-Nektar auffüllen, 1 Gelpack reinquetschen, Prise Kochsalz, gut schütteln.
Das ganze zweimal, nebenbei die Flasche Iso in einem Zug leer getrunken, schnell das Armband übergezogen, welches ich vorhin ebenfalls vergessen hatte.
Spind zu und ab zum Check In.
Dort füllte mir die freundliche junge Dame meine Pullen mit Wasser auf.
Kurz schütteln und zurück auf die Trainingsfläche.

Ich habe ein Rennen zu fahren!

35km noch, das ist doch nichts mehr.
Das ist ungefähr meine damalige Rennrad-Sprint-Strecke, die ich mittwochs nach der Arbeit locker abgerissen hab.
Programm starten, 220 Watt einstellen. Links voll durchtreten, Rechts nochmal nachziehen und schon habe ich 120 Umdrehungen auf dem Tacho.
Die Beine fühlen sich an wie neu geboren.
Ich schwöre euch, wenn ich jemals wieder solch eine Krise auf dem Rad haben sollte… dann hocke ich mich einfach 5 Minuten in eine Ecke und mache gar nichts.
Lieber 5 Minuten verlieren und danach neu durchstarten, als sich ein D.N.F. einfangen!
Kasi ist zurück im Rennen!
Der Puls pendelt sich wieder bei 155 ein. Etwas über 75% meiner Maximalleistung. Klar werde ich damit keine Bestzeiten aufstellen, aber ich muss mir auch noch ein wenig für den Halbmarathon aufheben!
Denn jetzt hält mich nichts mehr auf. Die Distanz hat mich ins Straucheln gebracht, aber damit hat sie meinen Willen nur noch mehr entfacht!
Dir werde ich es zeigen!
Und da ich schon weit über die Hälfte habe, brauche ich nun auch keine Rücksicht mehr auf Getränke-Dosierungen nehmen: Außerdem habe ich zur Sicherheit eine Wasserflasche unters Bike gestellt. Stille Reserve für alle Fälle.
Ich steckte mir wieder die Hörer ins Ohr. Gerade hatten Timbaland und Katy Perry angefangen:

„What’s somebody like you, doin‘ in a place like this?
1, 2, 3 – Come on!
I’ll never be the same, if we ever meet again!“

Ja, DAS ist es. Dieses Lied hat meinen Rythmus. Immer und immer wieder repeate ich es.
Die nächsten 30 km spule ich fast wie im Rausch runter, passiere die 85km-Marke nach 2:32h.
Zeit das Bike ein letztes Mal zu resetten, damit es nicht im Schlussspurt abbricht und ich mit krummen Zahlen rechnen muss.
„Löschen“ – „2x Persönlicher Trainer“ – „Start Wattprogramm“ – „Zeitwahl: 60min (max)“ – „Wattvorgabe: 2-2-0“ – „Eingabe“
Meine Finger fliegen über die Tastatur.
Und Vollgas!
5000 Meter. Das ist ein Witz. Das ist nichts mehr!
Mein Arsch geht jetzt immer wieder kurz aus dem Sattel, mit voller Wucht stemme ich die Füße in die Pedale.
Zeitweise erreiche ich über 135 Umdrehungen, das Schwungrad bekommt so eine kinetische Wucht, dass es mir die Beine in der Aufwärtebewegung fast in den Bauch rammt. Die Füße fliegen fast aus den Schlaufen. Ich hatte sie absichtlich nicht sehr eng geschnallt, um bloß keine weitere Sehnenreizung zu riskieren.

8:39min später sprang der Entfernungsmesser auf 5,00km.
Ich stoppte die Uhr bei 2:41:00 glatt

90km Rennrad in 2:41h

Inklusive der knapp 5 Minuten Boxenstopp.
Jetzt schnell, aber gründlich das Bike und den Boden der näheren Umgebung mit Desinfektionsmittel absprühen und abfeudeln.

Wieder wie auf zittrigen Beinen die Treppe runter zur Umkleide. Mit dem ohnehin schon klatschnassem Handtuch so gut wie möglich den Körper trocken legen.
Raus aus den Schuhen.
Ach du Scheiße.
Meine Socken sind klatschnass, als wäre ich mit ihnen gerade einer Badewanne entstiegen.
Damit kann ich nicht laufen!
Unmöglich.
… Plan B: Die Baumwollsocken von vor dem Schwimmen.
Die lange 3/4 Lauftight an, GPS-Uhr gestartet, Schuhe geschnürt.
Dann versuchte ich mich in die „Rennpelle“ mein Lauf-Untershirt zu zwängen. Das Teil ist auch unter ruhigen Bedingungen schon widerspenstig.
Aber mit klammen Oberkörper und in Eile.
4 mal musste ich ansetzen bevor ich halbwegs bequem in dem Ding steckte.
Jacke unterm Arm. Die Tüte mit der Laufverpflegung in die Hand und ab dafür.
Raus ums Gebäude herum und auf die Außenanlage.
Schnell die Getränkedosen auf in dem kleinen Wettkampf-Kabuff direkt neben Bahn 8 aufstellen und Go, Go, Go !

Den kompletten Wechsel mit Bike schrubben schaffte ich in 17 Minuten. Also diesmal „nur“ 5 Minuten Wechselzeitstrafe

„Einen Halbmarathon läuft man zur Not auch verkatert und in Gummistiefeln“, hatte der große Herbert Steffny einmal gesagt.
Wieviel Wahrheit in dieser Aussage steckt, würde ich in hoffentlich 21,1km wissen!

Kilometer 1 – 4:05min
Das läuft ja tatsächlich besser, als ich erwartet hatte!
Ich wusste, dass 4:17 auf eine glatte 90min-Zeit hinauslaufen würde.

Kilometer 2 – 4:17min
Egal, ich habe ja noch 12 Sekunden Reserve von eben!

Kilometer 3 – 4:14min
Jepp. So muss das sein. Nur nicht unterbuttern lassen.

Kilometer 4 – 4:14min
Wahnsinn, wenn ich mich in diesem Tempo festsetzen kann, wäre das der absolute Hammer!

Kilometer 5 – 4:21min – Zwischenzeit: 21:12min
Die „schlechte“ Zeit kommt nur daher, dass ich mir eine Flasche vom Tisch geangelt und eine Runde lang trinkend mitgeschleppt habe, bevor ich sie wieder auf den Tisch warf!
Ach und selbst wenn.
„Solange ich unter 5:00min/km bleibe ist meine Welt in Ordnung. Das sind unter 100 Minuten.“, versuchte ich mir einzureden, obwohl ich im inneren wusste, dass langsamer als 4:30 schon eine kleine Niederlage ist.
Nein, keine Niederlage. Das Wort ist zu groß. Eine klitzekleine Enttäuschung.
Das trifft es besser.

…der Wind frischte auf. Mir wird kalt!
Beim nächsten „Boxenstopp“ ziehe ich mir deshalb die Laufjacke über. Das Kopftuch hatte ich schon von Beginn an übergezogen.
Ja, viel viel besser.
Den Mp3-Player hatte ich absichtlich nicht dabei.
Ich laufe meine Rennen immer ohne Musik.
So drehte ich meine Runden entgegendem Uhrzeigersinn… ein leichtes Zwacken in der linken Wade breitet sich plötzlich in den Linkskurven aus.
Nein.
Bitte nicht.
Nicht jetzt!
Auf den Geraden ging es völlig ohne Probleme.
Trotzdem wurde ich langsamer. Ich pendelte mich langsam irgendwo zwischen den 4:30 und 5:00 ein.

Kilometer 10 – 4:46min – Zwischenzeit: 44:26min
Ich drehte um und lief nun mit dem Uhrzeigersinn.
Aus den Linkskurven wurden Rechtskurven, die Wade verstummte Augenblicklich.

Ich laufe zwar noch, aber langsam fällt es mir immer schwerer.
Hätte ich doch nur mal die Kurzdistanz gewählt!
Dann wäre ich jetzt schon fertig.
Nein. Nein. Nein.
Ich will den Halb-Ironman.
Wenn ich den schaffe, dann brauche ich vor meinem ersten Kurzdistanz-Wettkampf keinerlei Ausdauersorgen haben.
Dann kann ich mich ganz um das „wie schnell“ kümmern und muss nicht auf das „ob überhaupt“ achten.
Das ist ja schließlich der Sinn der heutigen Übung!

Nach 60 Minuten hatte ich genau 13,34km zurück gelegt.
Ich hielt kurz am Boxenstopp und kippte mir eine Dose Red Bull auf Ex rein.
Außerdem fand ich den Mp3-Player in der linken Jackentasche.
Hatte ihn wohl aus Reflex an seinen gewohnten Platz gesteckt.

Ich startete Bob Marley’s grandioses Album „Legend“ zu legte wieder etwas an Tempo zu:

Kilometer 15 – 4:39min – Zwischenzeit: 68:21min
Sechs mikrige Kilometer.
Jetzt sogar schon 5-Komma.
Ey… F ü n f!
Für nen 5km-Lauf zieh ich mich doch normal nichtmal um. Das laufe ich locker in Jeans und Wollpulli ohne Schweißperle runter.

Schon seit einer Ewigkeit starte ich nur noch auf die dünne weiße Linie vor mir. Begrenzung zwischen Bahn 1 und 2.
Auf ihr lief ich, wie an einer unsichtbaren Schnur gezogen meine Runden.
Ich wusste, dass mir niemand entgegen kommen konnte, was mich beim Schwimmen so gestört hatte, wurde jetzt meine Zuflucht.
Bleiern und leer kam ich mir vor. Die Energie, die der Red Bull in mir entfachte, war bereits schon wieder verebbt.
Nach jeder Runde warf ich einen Blick auf meine Uhr.
…und fluchte jedes Mal, dass es nur 400m mehr geworden waren.

Kilometer 16 – 4:33min
Hier laufe ich nun schon seit 72 Minuten.
Lebe förmlich nur noch von Kilometer zu Kilometer und ständig nagt es in meinen Gedanken.
„Einfach stehen bleiben.“
„Wer zwingt dich dazu?“
„16 sind doch fast 21, du weißt, dass du es könntest“

Kilometer 17 – 5:06min
Ich will es mir nicht eingestehen, aber wieder kreist das DNF über mir.
Verzweifelt kippe ich mir die letzte Dose Red Bull in den Hals und trabe langsam weiter.
Da bricht die Sonne in einem gleißenden Strahl durch die Wolkendecke und scheint genau auf die Sportanlage.
Ich bin ja wirklich nicht abergläubig, aber als dann noch der Mp3-Player per Random-Funktion zum nächsten Lied springt…

Kurz drifte ich weg in eine Zeit, die mir vorkommt, als stamme sie aus einem anderen Leben, dabei sind nur wenige Jahre vergangen.
„…Don’t worry about a thing. ‚Cause ev’ry little thing gonna be alright!“, leise mitgeträllert von Yasmin neben mir im Gras liegend…
Unbewusst wandert meine Linke an den Hals; sucht die Kette, umfasst kurz ihren Ring.
Ich bin hier nicht alleine!
Und ich werde ganz bestimmt nicht stehen bleiben.
Heute nicht.
Und überhaupt niemals mehr!

Kilometer 18 – 4:34min
Nur noch 3 kleine, mickrige Kilometer.
3000 Meter.
In guten Zeiten ist das ein Akt von gerade einmal 10:09min für mich.
Lass es heute 14 Minuten sein.
14 kleine Minuten nur noch.

Kilometer 19 – 4:30min
2000 Meter, Scha-lala-la-laaa!
Die Distanz hat wirklich alles versucht, um mich in die Knie zu zwingen.
Aber jetzt kann sie mir nichts mehr.
JETZT nicht mehr!

Kilometer 20 – 4:31min
2 1/2 kleine Runden nur noch.
Ich fliege.
Ich träume davon wie es sein wird.
Jetzt.
Gleich.
…werde ich laut jubeln?
oder auf die Knie fallen?
Vielleicht die Hände in den Himmel recken?
Wie fühlt sich so etwas an?

Kilometer 21,1 – 4:01min – Zielzeit: 96:44min

Langsam trabe ich aus. 5 Stunden und 50 Minuten nachdem ich im Schwimmbad die Uhr startete.
Es ist jetzt genau 17:40 Uhr.

Ich stehe einfach nur da. Freue mich still – und lächle.

Tagesbilanz: Halb-Ironman (1,9km - 90km - 21,1km)
Bruttozeit: 5:50h (inklusive aller Wege, Wechsel und Aufräumarbeiten)

Netto-Einzelzeiten:
------- Schwimmen: 033:31 min
Wechselzeitstrafe: 013:00 min
-------- Spinning: 161:00 min
Wechselzeitstrafe: 005:00 min
---------- Laufen: 096:44 min
-----------------------------
Netto-Gesamtzeit: 302:15min ~ 5:02:15h

Begegnungen: Andreas - unbewusster Motivator des Tages!

Erkenntnis des Tages:

Nicht auch nur annähernd in Worte zu fassen!

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